Eine Reise durch das Transformationsdesign Studium oder geheime Transformationsdesigner*innen und wo sie zu finden sind
Von Daniele Lauriola.
Was ist eigentlich Transformationsdesign? Mit dem Glauben, genau zu wissen, was ich studieren werde, habe ich mich in den Masterstudiengang Tranformationsdesign eingeschrieben. Dabei war es für mich der nächste logische Schritt auf einer Reise des Verstehens von gesellschaftlichen Transformationsprozessen, wie wir sie gemeinsam gestalten können und der Frage danach, wie wir eigentlich zusammenleben wollen (Design von (und innerhalb von) gesellschaftlichen Transformationsprozessen). Eines weiß ich ganz gewiss auch bereits an dieser Stelle – der Glaube zu wissen, war nur ein Glaube und die vielen Türen mit weiteren Türen dahinter tief in die „unknown unkowns“ (Donald Rumsfeld 2002) ist die Reise wert.
Der Text soll einen Einblick in diese Reise geben und ist der erste von drei: Quasi Transformationsdesign in drei (+) Akten. Diese drei oder eventuell vier Texte sind als Denkwerkzeug für mich selbst angelegt und sollen im Rückblick auf die einzelnen Semester des Masterstudiengangs eine Reflektion des Gelernten und Verlernten, wie auch der aufgestoßenen Türen in Wissenswelten ermöglichen. Er ist deshalb als eine Art “Carrier Bag” (Ursula Le Guin – Carrier Bag Theory Of Fiction) zu verstehen, der keinen linearen Verlauf verfolgt, sondern eventuell Verwirrung, Unsicherheit und nicht Linearität zulässt. Diese Narrative abseits der konfliktzentrierten Heldengeschichten ermöglichen eine neue Perspektive auf Betrachtungsgegenstände. Und anstelle der Heldenerzählungen interessiert das Transformationsdesign sich für alternative Erzählhaltungen, wie zum Beispiel die einer Sammler*in die Ursula Le Guin vorschlägt. Denn Sammler*innen können in gänzlich andere Vorstellungswelten vordringen – solche, in der sich Dualismen wie hell und dunkel, weiblich und männlich, Gut und Böse auflösen. Oder, in den Worten von Donna Haraway: „Es ist von Gewicht, welche Geschichten Welten machen und welche Welten Geschichten machen.“
Um herauszufinden, in welchen Rollen und an welchen Orten Transformationsdesigner*innen zu finden sind, ist es sinnvoll zu reflektieren, was eigentlich Transformationsdesign sein kann und welche Teilgebiete es umfasst. Deshalb sollten wir den Begriff Transformationsdesign anschauen, auch um einen Einstieg in diesen Text zu bekommen. Dazu können wir etymologisch auf die beiden einzelnen Begriffe schauen. Transformation und Design – das ist auch, was wir gemeinsam im ersten Semester versucht haben.
Kommt vom lateinischen transformatio bzw. transformare und bezeichnet etwa eine Umwandlung, Umformung, Umstrukturierung oder Umgestaltung. Wenn wir Irina Kaldracks (2018) Überlegungen in Un/certain Futures folgen wollen ist manchmal auch Verwandlung oder Verzauberung die richtige Interpretation des Wortes – ist die HBK dann eine Zauberschule? Abgrenzen sollten wir den Begriff von den Worten Revolution und Reform, vielleicht auch Transition. Aber in Wirklichkeit ist das gar nicht so einfach. Es gibt Überschneidungen, Parallelen und Doppeldeutigkeiten. Was hier jedoch deutlich werden sollte, egal wie wir das Wort definieren, es zielt auf eine Veränderung des bestehenden Systems in ein neues, normativ wünschenswertes ab.
Design:
Im 20. Jahrhundert von englische to design → en „entwerfen, konzipieren, planen“ entlehnt, das über französisch desseign → fr, italienisch disegno → it letztlich auf das lateinische Verb dēsīgnāre → la „(be)zeichnen“ zurückgeht2, meint jedoch vor allem Entwurf und Gestaltung und die damit verbundenen Prozesse. Ganz einfach und doch kompliziert definiert Herbert Simon Design als nichts weniger als den Prozess der Entwicklung von Handlungsstrategien, die darauf abzielen, eine vorgefundene Situation in eine präferierte zu überführen3.
To design is to devise courses of action aimed at changing existing situations into preferred ones. – Herbert Simon
Bereits hier sollte deutlich werden, dass die beiden Begriffe, die diesen Masterstudiengang beschreiben, nicht einfach greif- und definierbar sind. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Begriff des Transformationsdesigns, weshalb seine Definition in Folge auch als ein in die Weltstellen und Diskutieren gemeint ist und helfen soll besser zu verstehen, wie und an welchen Stellen und vielleicht auch in welchen Rollen Transformationsdesigner*innen zu finden sein werden.
2 Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 978-3-11-017473-1, DNB 965096742, Stichwort: „Design“, Seite 191. Wilhelm Schellenberg: Design – Designer – Bauhaus-Design. Über ein Jahrhundertwort und seinen Platz in der wegweisenden Kunstakademie der Moderne. In: Sprachdienst. Nummer Heft 5–6, 2019, Seite 221-231.
3 The Science of Design: Creating the Artificial, Herbert A. Simon, Design Issues Vol. 4, No. 1/2, Designing the Immaterial Society (1988), pp. 67-82 (16 pages) Published By: The MIT Press, https://doi.org/10.2307/1511391
Wer noch mehr zu dem Begriff und dem „Mega Projekt“ Transformationsdesign wissen will, dem empfehle ich den Einführungsprolog von Wolfgang Jonas in Un/certain Futures4.
Für den Moment der Reise sollte diese Definition ausreichen:
Transformationsdesign als Diskursungetüm zur Rolle von Gestaltungsprozessen von (und innerhalb von) gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen. Eine weitere Verortung wie in der vorhergegangenen Abbildung von Richard Buchanan zu sehen, sortiert Design nach dem Gestaltungsgegenstand auf unterschiedlichen Ebenen ein. Transformationsdesign befindet sich am ehesten auf der vierten oder fünften Ordnungsstufe von Design – dem Design von Systemen (in diesem Fall das gesellschaftliche System) oder sogar von Transformationsprozessen5.
Dabei sind je nach Projekt und Interventionsebene andere Gestaltungsgegenstände als mögliche “Boundary Objekts” (Produkte, Services, Experience) im Einsatz. Da es sich um einen designwissenschaftlichen Studiengang handelt, verstehen wir auch das Entwerfen (research through design und artistic research) als ein Tool der Erkenntnisgewinnung und schlussendlich auch einen Weg der eigenen Reflektion des Designs innerhalb des Designs (research about design).
Innerhalb dieses Prozesses wollen wir erst gar nicht dem Irrglauben aufsitzen, eine neutrale Beobachter*innen Position einnehmen zu können, sondern als Teil des Phänomens bzw. der Kultur verstanden werden. Wir sind offen für neue Zugänge zur Erkenntnisgewinnung innerhalb der Transformationsforschung z.B. durch Citizens Science6. Darüber hinaus nimmt das Transformationsdesign eine normative politische und kritische Haltung gegenüber Phänomenen ein (siehe Kritikformen) und versteht alles als gestaltet und damit gestaltbar. Ausgehend von dieser Haltung sind das Öffnen von Möglichkeitsräumen, sowie das Erstellen von Heterotopien (Foucault) – also Orten der gelebten Utopie – unser Ziel.
Folgend möchte ich mich mehr darauf konzentrieren euch einen Einblick zu zentralen Begriffen und Erkenntnissen aus der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen und Transformationsdesign vorzustellen und näherzubringen.
Kritisches Denken und Kritikformen als Katalysator für Transformationsstrategien:
Die zuvor beschriebene normative Gestaltungs- und auch Denkhaltung basiert auf analytischen theoretischen Überlegungen, die unterschiedliche Grundlagen für eine sozio-ökologische Transformation bilden. Dabei sind unterschiedliche Kritikformen wie z.B. Sozial-, Ökologie-, Herrschafts- und Kulturkritik unsere Denkwerkzeuge, die uns helfen aktuelle Situationen strukturiert und analytisch zu betrachten. Außerdem versuchen wir unsere (wenn vorhanden) Privilegien zu nutzen, um intersektionale Diskriminierungsverhältnisse zu Dekonstruieren und als Verbündete für Betroffene zu fungieren. Diese Perspektive hilft dabei zu überlegen, wer in den Geschichten, die wir versuchen zu schreiben, nicht berücksichtigt ist.
Neben den Kritikformen lernten wir als weiteres Denkwerkzeug unterschiedliche Ebenen der Transformation kennen. Neben der materiellen Ebene kann und sollte auch aus der juristischen, kulturellen oder mental inkorporierten Ebene auf Transformationsprozesse geschaut werden. Diese Ebenen der Betrachtung helfen dabei die unterschiedlichen Pfadabhängigkeiten von Situationen zu erkennen und eventuell neue Standpunkte und Perspektiven zu erkennen. Auf all diesen Ebenen bieten sich Hebelpunkte und Möglichkeiten der Intervention.
Die weitere analytische Betrachtung von Transformationsprozessen gelingt mithilfe des MLP-Modells (Multilevelperspektive), welches Veränderungsprozesse zwischen der Interaktion von Landscape-, Regime- und Nischen-Ebene zu erklären versucht und damit ein spannender Startpunkt von Transformationsstrategien sein kann. Aus den drei Ebenen lassen sich mögliche Strategien ableiten. Auf der Nischen-Ebene kann es eine Strategie sein, Frei*räume zu erschaffen, die das Erproben von progressiven Lebensstilen und ein Vorleben ermöglicht. Auf der Regime-Ebene können nicht-reformistische Reformen (NRR) zum Einsatz kommen, die zwar einzeln und kurzfristig als Reformen angesehen werden können, jedoch langfristig auf systemische Veränderung im Sinne einer „großen Transformation“ (Karl Polayni) abzielen. Diese NRR können sowohl auf Institutionen, politische Akteure oder Organisationen abzielen. Auf der Landscape-Ebene sollte es das Ziel sein, neue Narrative zu entwickeln, die die vorherrschende hegemoniale Struktur infrage stellen und in einer Form Gegenhegemonie enden. Diese sollte neue Möglichkeitsräume für vorher benachteiligte und diskriminierte Ideen, Personen und Strukturen bieten.
Es ist jedoch nicht nur die Aufgabe Kritik zu äußern, sondern auch Design als eine Kultur des Gegenvorschlags zu verstehen. Denn Grundsätzlich soll die Kritik keinem Selbstzweck dienen, sondern Diskussion und Reflektion ermöglichen, wie auch den Entwurfsprozess informieren & fundieren.
Neben diesen wissenschaftlich analytischen Perspektiven können wir als Tranformationsdesigner*innen innerhalb unserer Projekte auch auf emotionaler Ebene lernen mit eigener und fremder Kritik umzugehen. Dabei ist es immer gut sich seinen „Zweifel“ zu wahren und innere Konflikte sichtbar und fruchtbar für den Designprozess zu machen.
Interventionen, projekt-orientiertes Entwerfen und Designgegenstand:
Um Design nicht nur als Kultur des Gegenentwurfs zu verstehen, sondern auch in eine Umsetzung zu bringen, wird im Transformationsdesign mit Interventionen und dem Projekt-orientierten Entwerfen gearbeitet. Dabei geht es darum, in Situationen in denen es (meistens) keine Auftraggeber*in gibt, Projekte zu initiieren, die auf unterschiedlichen Transformationsebenen Möglichkeiten zur systemischen Veränderung öffnen. Dazu wird prozessual als erstes eine Analyse durchgeführt (siehe Kritikfomen), die im Sinne des „research for design“ den Entwurf informieren soll. Anschließend, werden Projektionen und wünschenswerte Szenarien entwickelt, die in der Synthese zusammengeführt werden zu einem Entwurfsvorschlag und in Form von einem oder mehreren Prototypen enden. Dieser Prozess, der vor allem in “Design Thinking” Workshops oft sehr linear und kontrolliert dargestellt wird, ist eher als ein „Mess“ zu verstehen und verläuft iterativ und prototypisch. Ideen und Entwürfe werden verworfen und neu gedacht. Dies passiert nicht nur in der Anfangsphase, sondern auch noch bis kurz vor „Abgabe“.
Dabei stellen sich viele Fragen im Prozess, zum Beispiel ist eine entscheidende Frage, die im direkten Zusammenhang mit der Abgabe steht, die nach der Auftraggeber*in (Herbert Simon, Rittel). Da wir uns in gesellschaftlichen Kontexten und Problemen im Kontext von sozio-ökologischer Transformation befinden, wären dort wohl häufig die Gesellschaft oder auch die Natur als Auftraggeber*in zu nennen. Diese sind jedoch eher weniger eloquent im einfachen Formulieren von Briefings, die anschließend abgearbeitet werden, sondern formulieren diese durch nicht immer direkt sichtbare systemische Auswirkungen. Dabei schließt sich der Kreis zur Analyse und dem Start von Projekten. Um die Projekte angemessen bearbeiten zu können, die wohl am ehesten mit Rittels Worten als „Wicked Problems“ bezeichnet werden, müssen wir ihre Komplexität und systemische Verwurzelung akzeptieren & annehmen. Anschließend können im Designprozess Tools & Strategien gesucht werden, um mit Ungewissheiten umzugehen. Dabei verwenden wir Heuristiken7, um uns im Rahmen unserer “Bounded Rationality” (Herbert Simon) trotzdem gestalterisch verhalten zu können. Hierbei machen wir strategisch Setzungen, revidieren sie und setzen sie neu, um einen neuen Startpunkt zu erlangen. Aufgrund der Eigenschaften der Heuristiken und der Beschaffenheit von Wicked Problems sind die Entwürfe nicht als abgeschlossene (Problem-)Lösungen zu verstehen, sondern als diskursiver Rahmen, eben genannte Boundary Objekts, in denen neue Erkenntnisse gewonnen werden können, mit welchen anschließend besser informierte Folgeentwürfe entstehen können. Somit ist das Ziel, einen „besseren“ Absprungpunkt für nachfolgende Gestalter*innen zu schaffen. Um diese Möglichkeitsräume zu schaffen und sie nicht eventuell durch das eigene Ego zu belegen, liegt der Fokus eher auf der Entwicklung von neuen Werkzeugen (“Tools” im weiteren Sinne) und weniger darauf Autor*innendesign oder neue Werke zu schaffen. In diesen Problemkontexten kommt es zwangsläufig zu einer Komplizierung der Rolle der Expert*in. Denn kaum eines dieser systemischen Probleme kann durch eine Einzelperson bearbeitet werden, sondern eher in Gruppen von Menschen, die sich in einem gemeinsam interdisziplinären Prozess den Fragen und Ungewissheiten stellen.
7 Heuristik (altgr. εὑρίσκω heur sko „ich finde“; von εὑρίσκειν heur skein ‚auffinden‘, ‚entdecken‘) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen. Es bezeichnet ein analytisches Vorgehen, bei dem mit begrenztem Wissen über ein System mit Hilfe mutmaßender Schlussfolgerungen Aussagen über das System getroffen werden. Die damit gefolgerten Aussagen weichen von der optimalen Lösung ab.)
[…] mit der Vermehrung des Wissens wird die Rolle des Profis
fragwürdig […] er wird sich der ferneren Konsequenzen seiner Maßnahmen bewusst
[…] Fast alle Berufe unterziehen sich heute einer Selbstanalyse,
da sie den Druck verspüren, der sich aus der Komplizierung ihrer Rolle ergibt.
– Herbert Simon
Innerhalb dieser Prozesse ist eine Partizipation von unterschiedlichsten Expert*innen (- des Alltags, Spezialisten, Generalisten, usw.) nötig – und bereits in den ersten Entwurfsprojekten wurde deutlich, dass genau diese offene, kritische und transdiziplinäre Zusammenarbeit alleine als Gestaltungsgegenstand und Wicked Problem gesehen werden kann. Um all diesen Voraussetzungen standhalten zu können, gilt es eine möglichst offene Praxis zu entwickeln. Dabei sollte sowohl die Methode als auch der Ausgang offen sein und die Möglichkeit des Scheiterns mitgedacht werden. Diese Frei*räume zum Experimentieren sind nicht nur Start-up BuzzWord-sprech sondern zentraler Baustein des Transformationsdesign.
Zukunftsforschung (critical futures studies):
Offensichtlich wird, dass Design nicht nur versuchen möchte Erkenntnisse aus Vergangenen und Zukünftigen zu gewinnen, sondern im Kern der Disziplin liegt der Wunsch inne, vorgefundene Situationen in präferierte umzugestalten. Um diese präferierten Zustände zu gestalten, ist es zwangsläufig notwendig sich eine Vorstellung (Imagination) davon zu machen. Dazu können sowohl unterschiedlichste Szenarien als auch die Vorstellung von Zukünften im Plural eine sinnvolle Grundlage bieten. Deshalb ist es für Transformationsdesigner*innen essentiell, sich Grundlagen der “Futures Studies” anzueignen und darüber die eigene “Futures Literacy” (zu deutsch etwa Zukunftsgestaltungsfähigkeit – www.futuresday.org ist ein Beispielhaftes Projekt, welches versucht das Konzept in einem Entwurf umzusetzen) zu stärken. Besonders spannend und damit verwandt ist die Disziplin der „critical futures studies“, die ähnlich postkoloniale und feministische Theorien als Grundlage ihrer Überlegungen hat, und damit zu spannenden theoretischen Konstrukten und Gestaltungsvorschlägen kommt.
In Transformationsprojekten kann es hilfreich sein eine archäologische Perspektive auf die Entwürfe einzunehmen und sich zu fragen: Was bleibt am Ende des Projektes übrig und was werden Menschen im Futurzwei davon noch finden?
Genau in dieser Fähigkeit, über kurzfristige Interessen in anderen Zeitrahmen wünschenswerte Zukünfte entwerfen zu können, könnte eine Superkraft von Transformationsdesigner*innen liegen.
Komplexität und Systeme:
Systemisches Denken, Wicked Problems, Komplexität, Ungewissheiten, Interdisziplinarität, Interventionen – all diese Ansätze sind bereits in den vorherigen Beschreibungen aufgetaucht und bilden die Grundlage das Transformationsdesign.
Hierbei fließen vor allem in der Analyse aber auch beim Entwerfen die Ideen zu Hebelpunkten, Interventionspunkte und Rückkopplungsschleifen von Donella Meadows mit ein. Das Denken in Systemen kann nur der Startpunkt und der Öffner von Türen in die Welt der Systeme sein, denn ist die systemische Perspektive ergänzt um soziologische, politische und psychologische Aspekte, ist sie ein gutes Werkzeug um zu erkennen und versuchen zu verstehen welche Eingriffe, welche Wirkung sie auf individuelle, kollektive, politische, organisationale und gesellschaftliche Veränderungsprozesse hat!8
We can’t control systems or figure them out. But we can dance with them! – Donella Maedows
Hier gibt es viele philosophische, soziologische, medientheoretische, technische, wie auch ökologische Fragen – die zentrale Frage die wir uns hier stellen sollten und die in jedem Projekt in dem Technologie und Digitalität eine Rolle spielt am Anfang stehen sollte ist jedoch:
„Technology is the answer. But what is the question?“- Cedric Price 1966
Wer die Fragen in diesem Bereich vertiefen möchte, dem ist die Dokumentationsreihe von Adam Curtis mit dem Namen „All Watched Over by Machines of Loving Grace“9 ans Herz zu legen.
Vielleicht ist es 23:03 Uhr, einen Tag vor Abgabe dieses Textes – da wird Zeit für ein wenig pragmatisches Scoping.
Ich habe mal einen Bekannten sagen gehört: ”Transformationsdesign ist sowas wie angewandte Philosophie und Ermutigung zum philosophisch kritischen Denken”. “Mag sein”– denke ich mir, für mich ist es vor allem ein kollektiver Lernprozess. Ich denke es wurde deutlich, dass hier nicht die einfachen Antworten zu finden sind, sondern eher die Türen zu einem lebenslangen Lernprozess.
Und wenn wir schon nicht unbedingt alle Lösungen finden (keine Sorgen, wir sind nicht die Ersten, die diese Fragen stellen, sondern sitzen auf den Schultern von Riesen), findet mensch eventuell sich selber in dem Prozess der Erkundung und Gestaltung der gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Vielleicht ist damit das Designstudium Therapie und hilft uns mit den kollektiven Symptomen eines Systems umzugehen – das sich selbst, die Lebewesen, wie auch die Natur ausbeutet.
Bleibt nur noch die Frage offen, wo wir wohl diese Transformationsdesigner*innen finden können.
Für diejenigen, die nicht warten wollen, hier eine einfache Antwort (?): Mit einem erweiterten Designverständnis sind Transformationsdesigner*innen überall zu finden. Ich habe sie letztens in einem feministischen Poetryslam, auf einem Konzern und in Michael Endes Buch Momo gefunden.
Was glaubt Ihr denn, wo Transformationsdesigner*innen zu finden sind?
Eine Reise durch das Transformationsdesign Studium oder geheime Transformationsdesigner*innen und wo sie zu finden sind
Von Daniele Lauriola.
Was ist eigentlich Transformationsdesign? Mit dem Glauben, genau zu wissen, was ich studieren werde, habe ich mich in den Masterstudiengang Tranformationsdesign eingeschrieben. Dabei war es für mich der nächste logische Schritt auf einer Reise des Verstehens von gesellschaftlichen Transformationsprozessen, wie wir sie gemeinsam gestalten können und der Frage danach, wie wir eigentlich zusammenleben wollen (Design von (und innerhalb von) gesellschaftlichen Transformationsprozessen). Eines weiß ich ganz gewiss auch bereits an dieser Stelle – der Glaube zu wissen, war nur ein Glaube und die vielen Türen mit weiteren Türen dahinter tief in die „unknown unkowns“ (Donald Rumsfeld 2002) ist die Reise wert.
Der Text soll einen Einblick in diese Reise geben und ist der erste von drei: Quasi Transformationsdesign in drei (+) Akten. Diese drei oder eventuell vier Texte sind als Denkwerkzeug für mich selbst angelegt und sollen im Rückblick auf die einzelnen Semester des Masterstudiengangs eine Reflektion des Gelernten und Verlernten, wie auch der aufgestoßenen Türen in Wissenswelten ermöglichen. Er ist deshalb als eine Art “Carrier Bag” (Ursula Le Guin – Carrier Bag Theory Of Fiction) zu verstehen, der keinen linearen Verlauf verfolgt, sondern eventuell Verwirrung, Unsicherheit und nicht Linearität zulässt.
Diese Narrative abseits der konfliktzentrierten Heldengeschichten ermöglichen eine neue Perspektive auf Betrachtungsgegenstände. Und anstelle der Heldenerzählungen interessiert das Transformationsdesign sich für alternative Erzählhaltungen, wie zum Beispiel die einer Sammler*in die Ursula Le Guin vorschlägt. Denn Sammler*innen können in gänzlich andere Vorstellungswelten vordringen – solche, in der sich Dualismen wie hell und dunkel, weiblich und männlich, Gut und Böse auflösen. Oder, in den Worten von Donna Haraway: „Es ist von Gewicht, welche Geschichten Welten machen und welche Welten Geschichten machen.“
Um herauszufinden, in welchen Rollen und an welchen Orten Transformationsdesigner*innen zu finden sind, ist es sinnvoll zu reflektieren, was eigentlich Transformationsdesign sein kann und welche Teilgebiete es umfasst. Deshalb sollten wir den Begriff Transformationsdesign anschauen, auch um einen Einstieg in diesen Text zu bekommen. Dazu können wir etymologisch auf die beiden einzelnen Begriffe schauen. Transformation und Design – das ist auch, was wir gemeinsam im ersten Semester versucht haben.
1 www.researchgate.net/publication/315894049_System_Dynamics_Modeling_for_the_Complexity_of_Knowledge_Creation_Within_Adaptive_Large_Programs_Management
BildID: http://discoverycentresean.blogspot.com/2015/04/the-god-of-unknowns.html
Transformation:
Kommt vom lateinischen transformatio bzw. transformare und bezeichnet etwa eine Umwandlung, Umformung, Umstrukturierung oder Umgestaltung. Wenn wir Irina Kaldracks (2018) Überlegungen in Un/certain Futures folgen wollen ist manchmal auch Verwandlung oder Verzauberung die richtige Interpretation des Wortes – ist die HBK dann eine Zauberschule? Abgrenzen sollten wir den Begriff von den Worten Revolution und Reform, vielleicht auch Transition.
Aber in Wirklichkeit ist das gar nicht so einfach. Es gibt Überschneidungen, Parallelen und Doppeldeutigkeiten. Was hier jedoch deutlich werden sollte, egal wie wir das Wort definieren, es zielt auf eine Veränderung des bestehenden Systems in ein neues, normativ wünschenswertes ab.
Design:
Im 20. Jahrhundert von englische to design → en „entwerfen, konzipieren, planen“ entlehnt, das über französisch desseign → fr, italienisch disegno → it letztlich auf das lateinische Verb dēsīgnāre → la „(be)zeichnen“ zurückgeht2, meint jedoch vor allem Entwurf und Gestaltung und die damit verbundenen Prozesse. Ganz einfach und doch kompliziert definiert Herbert Simon Design als nichts weniger als den Prozess der Entwicklung von Handlungsstrategien, die darauf abzielen, eine vorgefundene Situation in eine präferierte zu überführen3.
To design is to devise courses of action aimed at changing existing situations into preferred ones. – Herbert Simon
Bereits hier sollte deutlich werden, dass die beiden Begriffe, die diesen Masterstudiengang beschreiben, nicht einfach greif- und definierbar sind. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Begriff des Transformationsdesigns, weshalb seine Definition in Folge auch als ein in die Weltstellen und Diskutieren gemeint ist und helfen soll besser zu verstehen, wie und an welchen Stellen und vielleicht auch in welchen Rollen Transformationsdesigner*innen zu finden sein werden.
2 Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 978-3-11-017473-1, DNB 965096742, Stichwort: „Design“, Seite 191. Wilhelm Schellenberg: Design – Designer – Bauhaus-Design. Über ein Jahrhundertwort und seinen Platz in der wegweisenden Kunstakademie der Moderne. In: Sprachdienst. Nummer Heft 5–6, 2019, Seite 221-231.
3 The Science of Design: Creating the Artificial, Herbert A. Simon, Design Issues Vol. 4, No. 1/2, Designing the Immaterial Society (1988), pp. 67-82 (16 pages) Published By: The MIT Press, https://doi.org/10.2307/1511391
Wer noch mehr zu dem Begriff und dem „Mega Projekt“ Transformationsdesign wissen will, dem empfehle ich den Einführungsprolog von Wolfgang Jonas in Un/certain Futures4.
Für den Moment der Reise sollte diese Definition ausreichen:
Transformationsdesign als Diskursungetüm zur Rolle von Gestaltungsprozessen von (und innerhalb von) gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen. Eine weitere Verortung wie in der vorhergegangenen Abbildung von Richard Buchanan zu sehen, sortiert Design nach dem Gestaltungsgegenstand auf unterschiedlichen Ebenen ein. Transformationsdesign befindet sich am ehesten auf der vierten oder fünften Ordnungsstufe von Design – dem Design von Systemen (in diesem Fall das gesellschaftliche System) oder sogar von Transformationsprozessen5.
Dabei sind je nach Projekt und Interventionsebene andere Gestaltungsgegenstände als mögliche “Boundary Objekts” (Produkte, Services, Experience) im Einsatz. Da es sich um einen designwissenschaftlichen Studiengang handelt, verstehen wir auch das Entwerfen (research through design und artistic research) als ein Tool der Erkenntnisgewinnung und schlussendlich auch einen Weg der eigenen Reflektion des Designs innerhalb des Designs (research about design).
4 www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4332-9/un/certain-futures-rollen-des-designs-in-gesellschaftlichen-transformationsprozessen/
5 Richard Buchanan, “Design Research and the New Learning,” Design Issues 17, no. 4 (Autumn 2001): 3-23
Innerhalb dieses Prozesses wollen wir erst gar nicht dem Irrglauben aufsitzen, eine neutrale Beobachter*innen Position einnehmen zu können, sondern als Teil des Phänomens bzw. der Kultur verstanden werden. Wir sind offen für neue Zugänge zur Erkenntnisgewinnung innerhalb der Transformationsforschung z.B. durch Citizens Science6. Darüber hinaus nimmt das Transformationsdesign eine normative politische und kritische Haltung gegenüber Phänomenen ein (siehe Kritikformen) und versteht alles als gestaltet und damit gestaltbar. Ausgehend von dieser Haltung sind das Öffnen von Möglichkeitsräumen, sowie das Erstellen von Heterotopien (Foucault) – also Orten der gelebten Utopie – unser Ziel.
Folgend möchte ich mich mehr darauf konzentrieren euch einen Einblick zu zentralen Begriffen und Erkenntnissen aus der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen und Transformationsdesign vorzustellen und näherzubringen.
Kritisches Denken und Kritikformen als Katalysator für Transformationsstrategien:
Die zuvor beschriebene normative Gestaltungs- und auch Denkhaltung basiert auf analytischen theoretischen Überlegungen, die unterschiedliche Grundlagen für eine sozio-ökologische Transformation bilden. Dabei sind unterschiedliche Kritikformen wie z.B. Sozial-, Ökologie-, Herrschafts- und Kulturkritik unsere Denkwerkzeuge, die uns helfen aktuelle Situationen strukturiert und analytisch zu betrachten. Außerdem versuchen wir unsere (wenn vorhanden) Privilegien zu nutzen, um intersektionale Diskriminierungsverhältnisse zu Dekonstruieren und als Verbündete für Betroffene zu fungieren. Diese Perspektive hilft dabei zu überlegen, wer in den Geschichten, die wir versuchen zu schreiben, nicht berücksichtigt ist.
Neben den Kritikformen lernten wir als weiteres Denkwerkzeug unterschiedliche Ebenen der Transformation kennen. Neben der materiellen Ebene kann und sollte auch aus der juristischen, kulturellen oder mental inkorporierten Ebene auf Transformationsprozesse geschaut werden. Diese Ebenen der Betrachtung helfen dabei die unterschiedlichen Pfadabhängigkeiten von Situationen zu erkennen und eventuell neue Standpunkte und Perspektiven zu erkennen. Auf all diesen Ebenen bieten sich Hebelpunkte und Möglichkeiten der Intervention.
6 https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/5924/file/5924_Schneidewind.pdf
Die weitere analytische Betrachtung von Transformationsprozessen gelingt mithilfe des MLP-Modells (Multilevelperspektive), welches Veränderungsprozesse zwischen der Interaktion von Landscape-, Regime- und Nischen-Ebene zu erklären versucht und damit ein spannender Startpunkt von Transformationsstrategien sein kann. Aus den drei Ebenen lassen sich mögliche Strategien ableiten. Auf der Nischen-Ebene kann es eine Strategie sein, Frei*räume zu erschaffen, die das Erproben von progressiven Lebensstilen und ein Vorleben ermöglicht. Auf der Regime-Ebene können nicht-reformistische Reformen (NRR) zum Einsatz kommen, die zwar einzeln und kurzfristig als Reformen angesehen werden können, jedoch langfristig auf systemische Veränderung im Sinne einer „großen Transformation“ (Karl Polayni) abzielen. Diese NRR können sowohl auf Institutionen, politische Akteure oder Organisationen abzielen. Auf der Landscape-Ebene sollte es das Ziel sein, neue Narrative zu entwickeln, die die vorherrschende hegemoniale Struktur infrage stellen und in einer Form Gegenhegemonie enden. Diese sollte neue Möglichkeitsräume für vorher benachteiligte und diskriminierte Ideen, Personen und Strukturen bieten.
Es ist jedoch nicht nur die Aufgabe Kritik zu äußern, sondern auch Design als eine Kultur des Gegenvorschlags zu verstehen. Denn Grundsätzlich soll die Kritik keinem Selbstzweck dienen, sondern Diskussion und Reflektion ermöglichen, wie auch den Entwurfsprozess informieren & fundieren.
Neben diesen wissenschaftlich analytischen Perspektiven können wir als Tranformationsdesigner*innen innerhalb unserer Projekte auch auf emotionaler Ebene lernen mit eigener und fremder Kritik umzugehen. Dabei ist es immer gut sich seinen „Zweifel“ zu wahren und innere Konflikte sichtbar und fruchtbar für den Designprozess zu machen.
Interventionen, projekt-orientiertes Entwerfen und Designgegenstand:
Um Design nicht nur als Kultur des Gegenentwurfs zu verstehen, sondern auch in eine Umsetzung zu bringen, wird im Transformationsdesign mit Interventionen und dem Projekt-orientierten Entwerfen gearbeitet. Dabei geht es darum, in Situationen in denen es (meistens) keine Auftraggeber*in gibt, Projekte zu initiieren, die auf unterschiedlichen Transformationsebenen Möglichkeiten zur systemischen Veränderung öffnen. Dazu wird prozessual als erstes eine Analyse durchgeführt (siehe Kritikfomen), die im Sinne des „research for design“ den Entwurf informieren soll. Anschließend, werden Projektionen und wünschenswerte Szenarien entwickelt, die in der Synthese zusammengeführt werden zu einem Entwurfsvorschlag und in Form von einem oder mehreren Prototypen enden. Dieser Prozess, der vor allem in “Design Thinking” Workshops oft sehr linear und kontrolliert dargestellt wird, ist eher als ein „Mess“ zu verstehen und verläuft iterativ und prototypisch. Ideen und Entwürfe werden verworfen und neu gedacht. Dies passiert nicht nur in der Anfangsphase, sondern auch noch bis kurz vor „Abgabe“.
Dabei stellen sich viele Fragen im Prozess, zum Beispiel ist eine entscheidende Frage, die im direkten Zusammenhang mit der Abgabe steht, die nach der Auftraggeber*in (Herbert Simon, Rittel). Da wir uns in gesellschaftlichen Kontexten und Problemen im Kontext von sozio-ökologischer Transformation befinden, wären dort wohl häufig die Gesellschaft oder auch die Natur als Auftraggeber*in zu nennen. Diese sind jedoch eher weniger eloquent im einfachen Formulieren von Briefings, die anschließend abgearbeitet werden, sondern formulieren diese durch nicht immer direkt sichtbare systemische Auswirkungen. Dabei schließt sich der Kreis zur Analyse und dem Start von Projekten. Um die Projekte angemessen bearbeiten zu können, die wohl am ehesten mit Rittels Worten als „Wicked Problems“ bezeichnet werden, müssen wir ihre Komplexität und systemische Verwurzelung akzeptieren & annehmen. Anschließend können im Designprozess Tools & Strategien gesucht werden, um mit Ungewissheiten umzugehen. Dabei verwenden wir Heuristiken7, um uns im Rahmen unserer “Bounded Rationality” (Herbert Simon) trotzdem gestalterisch verhalten zu können. Hierbei machen wir strategisch Setzungen, revidieren sie und setzen sie neu, um einen neuen Startpunkt zu erlangen. Aufgrund der Eigenschaften der Heuristiken und der Beschaffenheit von Wicked Problems sind die Entwürfe nicht als abgeschlossene (Problem-)Lösungen zu verstehen, sondern als diskursiver Rahmen, eben genannte Boundary Objekts, in denen neue Erkenntnisse gewonnen werden können, mit welchen anschließend besser informierte Folgeentwürfe entstehen können. Somit ist das Ziel, einen „besseren“ Absprungpunkt für nachfolgende Gestalter*innen zu schaffen. Um diese Möglichkeitsräume zu schaffen und sie nicht eventuell durch das eigene Ego zu belegen, liegt der Fokus eher auf der Entwicklung von neuen Werkzeugen (“Tools” im weiteren Sinne) und weniger darauf Autor*innendesign oder neue Werke zu schaffen. In diesen Problemkontexten kommt es zwangsläufig zu einer Komplizierung der Rolle der Expert*in. Denn kaum eines dieser systemischen Probleme kann durch eine Einzelperson bearbeitet werden, sondern eher in Gruppen von Menschen, die sich in einem gemeinsam interdisziplinären Prozess den Fragen und Ungewissheiten stellen.
7 Heuristik (altgr. εὑρίσκω heur sko „ich finde“; von εὑρίσκειν heur skein ‚auffinden‘, ‚entdecken‘) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen (unvollständigen Informationen) und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen. Es bezeichnet ein analytisches Vorgehen, bei dem mit begrenztem Wissen über ein System mit Hilfe mutmaßender Schlussfolgerungen Aussagen über das System getroffen werden. Die damit gefolgerten Aussagen weichen von der optimalen Lösung ab.)
[…] mit der Vermehrung des Wissens wird die Rolle des Profis
fragwürdig […] er wird sich der ferneren Konsequenzen seiner Maßnahmen bewusst
[…] Fast alle Berufe unterziehen sich heute einer Selbstanalyse,
da sie den Druck verspüren, der sich aus der Komplizierung ihrer Rolle ergibt.
– Herbert Simon
Innerhalb dieser Prozesse ist eine Partizipation von unterschiedlichsten Expert*innen (- des Alltags, Spezialisten, Generalisten, usw.) nötig – und bereits in den ersten Entwurfsprojekten wurde deutlich, dass genau diese offene, kritische und transdiziplinäre Zusammenarbeit alleine als Gestaltungsgegenstand und Wicked Problem gesehen werden kann. Um all diesen Voraussetzungen standhalten zu können, gilt es eine möglichst offene Praxis zu entwickeln. Dabei sollte sowohl die Methode als auch der Ausgang offen sein und die Möglichkeit des Scheiterns mitgedacht werden. Diese Frei*räume zum Experimentieren sind nicht nur Start-up BuzzWord-sprech sondern zentraler Baustein des Transformationsdesign.
Zukunftsforschung (critical futures studies):
Offensichtlich wird, dass Design nicht nur versuchen möchte Erkenntnisse aus Vergangenen und Zukünftigen zu gewinnen, sondern im Kern der Disziplin liegt der Wunsch inne, vorgefundene Situationen in präferierte umzugestalten. Um diese präferierten Zustände zu gestalten, ist es zwangsläufig notwendig sich eine Vorstellung (Imagination) davon zu machen. Dazu können sowohl unterschiedlichste Szenarien als auch die Vorstellung von Zukünften im Plural eine sinnvolle Grundlage bieten. Deshalb ist es für Transformationsdesigner*innen essentiell, sich Grundlagen der “Futures Studies” anzueignen und darüber die eigene “Futures Literacy” (zu deutsch etwa Zukunftsgestaltungsfähigkeit – www.futuresday.org ist ein Beispielhaftes Projekt, welches versucht das Konzept in einem Entwurf umzusetzen) zu stärken. Besonders spannend und damit verwandt ist die Disziplin der „critical futures studies“, die ähnlich postkoloniale und feministische Theorien als Grundlage ihrer Überlegungen hat, und damit zu spannenden theoretischen Konstrukten und Gestaltungsvorschlägen kommt.
In Transformationsprojekten kann es hilfreich sein eine archäologische Perspektive auf die Entwürfe einzunehmen und sich zu fragen: Was bleibt am Ende des Projektes übrig und was werden Menschen im Futurzwei davon noch finden?
Genau in dieser Fähigkeit, über kurzfristige Interessen in anderen Zeitrahmen wünschenswerte Zukünfte entwerfen zu können, könnte eine Superkraft von Transformationsdesigner*innen liegen.
Komplexität und Systeme:
Systemisches Denken, Wicked Problems, Komplexität, Ungewissheiten, Interdisziplinarität, Interventionen – all diese Ansätze sind bereits in den vorherigen Beschreibungen aufgetaucht und bilden die Grundlage das Transformationsdesign.
Hierbei fließen vor allem in der Analyse aber auch beim Entwerfen die Ideen zu Hebelpunkten, Interventionspunkte und Rückkopplungsschleifen von Donella Meadows mit ein. Das Denken in Systemen kann nur der Startpunkt und der Öffner von Türen in die Welt der Systeme sein, denn ist die systemische Perspektive ergänzt um soziologische, politische und psychologische Aspekte, ist sie ein gutes Werkzeug um zu erkennen und versuchen zu verstehen welche Eingriffe, welche Wirkung sie auf individuelle, kollektive, politische, organisationale und gesellschaftliche Veränderungsprozesse hat!8
We can’t control systems or figure them out. But we can dance with them!
– Donella Maedows
8 Falls Projekte zum Stocken kommen, kann mensch einfach der Anleitung von Donella Maedows (https://donellameadows.org/archives/dancing-with-systems/) und tut das, was die beste Idee ist: Mit Systemen Tanzen!
Digitale Kulturen:
Hier gibt es viele philosophische, soziologische, medientheoretische, technische, wie auch ökologische Fragen – die zentrale Frage die wir uns hier stellen sollten und die in jedem Projekt in dem Technologie und Digitalität eine Rolle spielt am Anfang stehen sollte ist jedoch:
„Technology is the answer. But what is the question?“- Cedric Price 1966
Wer die Fragen in diesem Bereich vertiefen möchte, dem ist die Dokumentationsreihe von Adam Curtis mit dem Namen „All Watched Over by Machines of Loving Grace“9 ans Herz zu legen.
Vielleicht ist es 23:03 Uhr, einen Tag vor Abgabe dieses Textes – da wird Zeit für ein wenig pragmatisches Scoping.
9 www.bbc.co.uk/programmes/b011lvb9
Was ist nun dieses Transformationsdesign?
Ich habe mal einen Bekannten sagen gehört: ”Transformationsdesign ist sowas wie angewandte Philosophie und Ermutigung zum philosophisch kritischen Denken”. “Mag sein”– denke ich mir, für mich ist es vor allem ein kollektiver Lernprozess. Ich denke es wurde deutlich, dass hier nicht die einfachen Antworten zu finden sind, sondern eher die Türen zu einem lebenslangen Lernprozess.
Und wenn wir schon nicht unbedingt alle Lösungen finden (keine Sorgen, wir sind nicht die Ersten, die diese Fragen stellen, sondern sitzen auf den Schultern von Riesen), findet mensch eventuell sich selber in dem Prozess der Erkundung und Gestaltung der gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Vielleicht ist damit das Designstudium Therapie und hilft uns mit den kollektiven Symptomen eines Systems umzugehen – das sich selbst, die Lebewesen, wie auch die Natur ausbeutet.
Bleibt nur noch die Frage offen, wo wir wohl diese Transformationsdesigner*innen finden können.
Für diejenigen, die nicht warten wollen, hier eine einfache Antwort (?): Mit einem erweiterten Designverständnis sind Transformationsdesigner*innen überall zu finden. Ich habe sie letztens in einem feministischen Poetryslam, auf einem Konzern und in Michael Endes Buch Momo gefunden.
Was glaubt Ihr denn, wo Transformationsdesigner*innen zu finden sind?