Transformationsdesign

Oder was braucht die Welt?

von Sophia-Christin Seidenzahl.

Persönliche Motivation für diese Arbeit:
Seit einem Jahr studiere ich Transformation Design an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig. Zum Zeitpunkt dieser Nachbearbeitung meiner Bacherlorarbeit steht die Fortführung des Studiengangs zur Diskussion. Im Folgenden ist klar erläutert, warum das Transformationsdesign für Kreative zusammen mit Menschen aus anderen Fachbereichen ein logischer und sinnvoller Aufbau für den weiteren Werdegang ist.

1. Einleitung 

Durch die zunehmend auftretenden Folgen des Klimawandels rückt die Notwendigkeit zu Handeln mehr und mehr in den Fokus der Gesellschaft. Derweil kann das Gefühl aufkommen, dass sich in der westliche Gesellschaft, bis auf die Einführung neuer Ökoprodukte, nicht viel ändert. Ich habe den Eindruck, dass dem Einfluss der Einzelnen weniger Gewicht beigemessen wird als dem der Industrie. Ökologisch, Bio, und Nachhaltig sind zu Werbebegriffen geworden, um weiterhin die Verkaufszahlen zu steigern. Ob Wachstum und Produktionssteigerung für den Klimawandel wirklich förderlich sind, wagt kaum jemand öffentlich anzuzweifeln. Zudem besitzt eine Durchschnittseuropäerin etwa 10.000 Dinge1 und trotzdem werden für Diese weiterhin Güter produziert.
Objekt- und Raumdesign hat auf dem kommerziellen Markt die Aufgabe, neue Produkte zu entwickeln, Messestände zu gestalten, Einkaufserlebnisse neu zu erfinden – kurz gesagt: Innovative Ideen beizutragen, welche zum Konsumieren anstiften, Unternehmen helfen größer zu werden und den Markt ankurbeln. Diese Arbeit stellt den gesamtgesellschaftlichen Sinn kommerziellen Designs in Frage und sucht nach Anknüpfungspunkten, an denen Design und Kreativität eine umweltbewusste Gesellschaft unterstützen. 
Will man etwas verändern, muss man begreifen, wie es funktioniert. Das Ziel dieser Recherche ist es zum einen die Konsumwelt und in diesem Zusammenhang die Verbindung zwischen Wachstum und gesellschaftlichem (Un)Wohlstand zu verstehen und zum anderen neue Bereiche zu finden, auf denen sich Design in und mit einer zukunftsfähigen Gesellschaft bewegen kann. 
Wo liegt also der Mehrwert des Konsums? Wie entwickelt sich das auf Wachstum angelegte Wirtschaftssystem weiter im Hinblick auf einen endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen? Wie können wir einen ökologischen Produkt- Kreislauf in Gang setzen, sodass sowohl Konsumentinnen als auch unsere Umwelt als Gewinnerinnen daraus hervorgehen? 
Anhand von Publikationen zu Themen wie Konsum, Wirtschaft und Transformation werden Vorzüge, Problematiken und Änderungsvorschläge analysiert. Im Laufe dieser Arbeit wird der Bogen vom Individuum als Konsumentin, über die ökologischen und humanitären Folgen globaler Güterwirtschaftsbeziehungen hin zu Lösungsstrategien gespannt.

1 Vgl. Jürgen Reus, Garantiert nicht lange haltbar, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 78.

2. Die Konsumentin

2.1. Verführungstaktiken

„Der postmoderne Konsument sucht während des Shopping gezielt nach atmosphärischen Bedingungen, die ihm die Chance bieten, die Kontrolle über seinen Kaufimpuls zu verlieren. (…) Dabei erlebt sich der Impulskäufer nicht selbst als Zentrum der Aktion: Nicht er begehrt die Ware, die Ware begehrt ihn – blickt ihn an, ruft ihm nach, verfolgt ihn. Auf diese Animation reagiert er mit intensiven Gefühlen, die ihn in einen Ambivalenzkonflikt stürzen. Soll er nachgeben oder widerstehen? Schließlich löst er den Konflikt, indem er alle antizipierten negativen Konsequenzen (trotzig) in den Wind schlägt – und kauft.“

Rolf Haubl, „Welcome to the pleasure dome“ in: Hans A. Hartmann; Rolf Haubl (Hg.), Freizeit in der Erlebnisgesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996, S. 218-219.

Das Eventshopping ist eine Verführungstaktik am Markt. Zu ihm gehört sowohl die vorweihnachtliche Stimmung auf den weltweit bekannten Weinachtsmärkten in Deutschland als auch das Eintauchen in Fantasiewelten u.a. in amerikanischer Shopping Malls. Für Szenografinnen und Raumgestalterinnen breitet sich besonders in Regionen, in denen die Menschen so gesättigt sind, dass viele Anreize geschafft werden müssen um ihre Konsumlust weiterhin anzustacheln, ein gigantisches Arbeitsfeld aus. 
Fernab von Szenografie und haptischem Ambiente ist durch die fortschreitende Digitalisierung unseres Alltags Werbung allgegenwärtig geworden. Das Designumfeld hat dafür den wichtig klingenden Beruf des Content Creators erschaffen.2 Ganz bewusst jedoch erzählen Werbespots und vermeintliche Privatpersonen von „Problemen“ und präsentieren im Anschluss die käufliche „Lösung“. Werbung ist im 21. Jahrhundert zudem so allgegenwärtig, dass man sie kaum mehr bewusst wahrnimmt. Produktplatzierungen sind das beliebteste und wirksamste Werbemittel unserer Zeit. Sich dem zu entziehen ist in Zeiten von Social Media Marketing unmöglich.3 Eine Setdesignerin ist entweder dazu angehalten Produkte möglichst beiläufig [etwa in Blogbustern] zu platzieren oder muss z.B. im öffentlich-rechtlichem Fernsehen genau darauf achten, dass eben keine Markennamen im Bild zu sehen sind.
Alles möchte die Konsumentin auffordern, sich den neu geweckten Bedürfnissen hinzugeben und einzukaufen. Rabattaktionen und saisonale Schlussverkäufe sollen ihr das Gefühl geben, dabei sogar zu sparen. Ein schlechtes Gewissen ist für sie dabei fehl am Platz, denn sie wird gebraucht um den Markt am Laufen zuhalten. 

3 „Marken sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und auch im Gebrauchs- und Verbrauchsfeld eines Filmes sind sie unumgänglich: Ohne Markenprodukte könnte ein Film kein realistisches Umfeld abbilden. Markenprodukte breiteten sich in Filmen immer mehr aus. Heutzutage statten Waren Filme nicht nur mehr aus, sondern die Produkte übernehmen teilweise sogar die Hauptrolle. Product Placement ist aus den Kinderschuhen entwachsen und hat sich zu einer eigenständigen Industrie entwickelt. (...) Filme werden zum Teil dazu benutzt, Markenartikeln ein positives Image zu verleihen. Werbetreibende wollen ihren Artikel vermarkten und die Filmindustrie ist für eine Aufbesserung des Budgets dankbar.“ - Nadine Sprinzl
Product Placement als imagebildende Kraft, othes.univie.ac.at/3363/1/2009-01-11_0309692.pdf, S.1

2.2 Anreize, Gewohnheiten und Positionsgüter

Mit den Dingen, die uns umgeben, die wir tragen und mit denen wir unser Zuhause einrichten, drücken wir uns individuell aus. Die Auswahl, die dazu zur Verfügung steht, ist bezeichnend. Dem Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich zufolge, lässt sich anhand der Zahnbürste neben dem Waschbecken erkennen, wer wir sein wollen oder wer wir sind.4 Kauf dich glücklich ist der erklärt selbstironische Titel einer kleineren, 2002 gegründeten Livestyle conzept store Kette aus Berlin. Sie rühmt sich damit, in Europa zu produzieren, „mehr als nur Ware“ zu verkaufen und möchte eine moderne und junge Kundschaft ansprechen.5 ‚Kauf dich Glücklich‘ war 2011 auch der Werbeslogan von Media Markt. Egal, was passiert, sei es das zerkratze Auto oder ein volltätowiertes Kind, durch den neuen Flachbildfernseher oder die frisch gelieferte Waschmaschine sind Mama und Papa so glücklich, dass sie alles andere mit einem Lachen auf dem Gesicht hinnehmen können (Vgl. Media Markt). Der Tenor von Geschäft und Werbung verspricht, dass durch ein neues Produkt alle Probleme genommen werden. Und tatsächlich ist Shoppen gehen eine gängige Methode, um Frust abzubauen, Abwechslung im Alltag zu haben und um sich ein bisschen zu belohnen. 
Die Konsumentin, die hier stereotypisch angesprochen wird, lebt in einer wohlhabenden Gesellschaft aus den frühindustrialisierten Gebieten. Sie ist auf der umworbenen Seite der Medaille gelandet. Glücklich wähnt sich diejenige, welche ihren Status im Wettrennen um die aktuellste Technik halten kann. Kann sie nicht miteifern, ist sie nicht Wettbewerbsfähig, dann entsteht in ihr das ungute Gefühl mangelhaft zu sein.

„Das Gefühl es würde etwas sehr Wesentliches und Wichtiges fehlen, scheint mir die zentrale Erfahrung in der Konsumgesellschaft zu sein. Ich nenne diesen geistigen Zustand ‚Mangelbewusstsein‘.“

seinswandel.wordpress.com/2013/09/28/mangeldenken/ 

Doch macht uns ständiger Konsum wirklich glücklich? Das Gegenteil ist der Fall. Das Bundesministerium für Gesundheit berichtet von weltweit 350 Millionen Depressionserkrankten und die Weltgesundheitsorganisation schätzt Depressionen und affektive Störungen bis 2020 als zweithäufigste Volkskrankheit ein.6 Wie kann es sein, dass wir bei all den Dingen, die uns glücklich machen sollen, an Depressionen leiden?
Ab einem bestimmten Jahreseinkommen, dass nach Studien etwa bei 15 000 Euro pro Kopf liegt, fördert weiterer Konsum kaum mehr das persönliche Glück und Wohlbefinden.7 Wir kaufen dann nur noch, um unseren sozialen Status zu erhalten und zu erhöhen. Irgendwann geht es nicht mehr darum, was wir selber wollen und brauchen, sondern wie wir uns unserem direkten Umfeld präsentieren. Die Wirtschaft stellt die Behauptung auf, dass das Streben nach sozialem Status und Vorrang anthropologisch in uns verankert sei und uns den Antrieb gäbe, den wir zum Leben (und zur wirtschaftlichen Entwicklung) brauchen:

7 Vgl. Ottmar Edenhofer; Christian Flachsland; Jérôme Hilaire; Michael Jakob, Den Klimawandel stoppen, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 92.

„Denn anders als Konsumnachfragen gelten Bedürfnisse, die auf Überlegenheit über unsere Mitmenschen zielen, als unersättlich. Die Evolutionspsychologie, auf die die Wirtschaftswissenschaft hier zurückgreift, zählt das Statusstreben gar zu den sogenannten Steinzeit-Prägungen, die sich über die Evolutionsgeschichte hinweg adaptiv entwickelt haben und deshalb nur schwer veränderbar sind. Der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften führt den Geltungskonsum und das Rabattrennen nach Positionsgütern nicht auf die spezifisch kapitalistische Wirtschaftsweise zurück, sondern auf das menschliche Streben nach Auszeichnung. Wirtschaftlicher Erfolg, der florierende Luxusgütermarkt sowie der Wettbewerb um die Positionsgüter werden hier mit der egoistischen Natur des Menschen selbst erklärt“  

Michael Hofmann; Lucia Reisch, Rang und Namen, in: Ebd, S. 30-31

Menschen möchten sozial akzeptiert und gemocht werden. Die Werbung verspricht der Konsumentin dafür schnelle Hilfe. Hat diese ihren sozialen Status aufgebaut, will sie ihn nicht mehr verlieren. Erarbeitete Fortschritte müssen erhalten und nach Möglichkeit verbessert werden:

„In einer konsumkapitalistischen Ökonomie, in der sich der Großteil der Bevölkerung materiell nicht zu sorgen braucht, weil er hinreichend existenziell abgesichert ist, tritt an die Stelle der Sorge um das physische Überleben die Sorge um das psychosoziale Überleben in einer dynamischen Hierarchie von Statusgruppen, in der jede(r) aufwärts offensiv und abwärts defensiv eingestellt ist. Mithin dient das Konsumverhalten der Gesellschaftsmitglieder nunmehr primär dazu, einen statusgemäßen Lebensstil zu verwirklichen, der Distinktionsgewinne abwirft.“  

Rolf Haubl, „Welcome to the pleasure dome“ in: Hans A. Hartmann; Rolf Haubl (Hg.), Freizeit in der Erlebnisgesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996, S. 210 nach P. Bordieu, die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfrut am Main: Suhrkamp, 1982

Eine Weile macht es sie glücklich. Für einen Moment sind all die Möglichkeiten offen – zumindest solange bis eine neue Version eines Smartphones herauskommt oder eine neue Kollektion in den Modehäusern erscheint. Um an der Gesellschaft teilhaben zu können, zwingen Status- und Selbsterhaltungstrieb mitzugehen, es erscheint ganz selbstverständlich. Der Einfluss dieses Konzeptes bringt zweierlei hervor: Die Konsumentin häuft Dinge an, mit denen sie vermeintlich glücklich sein soll und hinterfragt sich selbstkritisch, wenn diese Erwartungen nicht eintreffen. Am Ende (ver-)braucht sie in einer endlosen Spirale mehr und mehr, immer mit dem Ziel die nächste Stufe zu erreichen.8
Worin die Werbung und der Markt uns also unterstützen, ist der Glaube an den sozialen Aufstieg durch Positionsgüter. Diese können sich mit der Zeit aber auch ungewollt anhäufen und uns dadurch irgendwann belasten. 
Spätestens durch die Netflix Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“ erhielt das Thema Übersättigung durch Konsum 2019 eine populäre Plattform. Auch dadurch wird deutlich, dass in vielen Industrieländern die materiellen Bedürfnisse ihren Sättigungsgrad bereits erreicht haben. Zurecht stellt die Transformationsforscherin Maja Göpel diesbezüglich die Frage, wie es denn wäre, wenn all diese Produkte gar nicht erst gekauft würden und ob das für unsere Umwelt nicht von enormen Vorteil wäre.9 Das nächste Kapitel geht der Frage nach, warum dennoch der Ausdruck ‚Konsumeinbruch‘ so negativ besetzt ist.

8 „Der Massenkonsum der Gegenwart ist Ausdruck eines Kulturverfalls. (...) Dabei sind das alles keine echten Bedürfnisse mehr, sondern nur noch von der Konsumgüterindustrie eingeflüsterte Präferenzen. Sind die Menschen nicht Opfer der Vorspiegelung eines besseren Lebens, das - wenigstens durch einen immerfort gesteigerten Konsum - keinesfalls zu erlangen ist?“ - Hans Peter Hahn,
Aneignung und Domestikation, in: Dirg Hohnsträter (Hg.), Konsum und Kreativität, Bielefeld: trannscript Verlag, 2016, S.44-45
9 Vgl. Maja Göpel, Unsere Welt neu Denken, Berlin: Ullstein Burchverlage, 2020, S. 119.

3. Wachstum um jeden Preis für eine zufriedene Gesellschaft?

Wir leben in einem System das annimmt und darauf aufbaut, dass Wirtschaftswachstum die Menschen glücklich macht. Problematisch wird dies, wenn Wachstum bedeutet, dass Ökosysteme und ein bestimmter Teil der Menschheit dafür aufkommen müssen.

3.1 Wie funktioniert Wirtschaftswachstum – eine verkürzte Darstellung

Im Kapitalismus ist das Geschäft dann erfolgreich, wenn es jedes Jahr mehr Umsatz generiert als im Jahr zuvor. Wenn ein Warenhaus mehr Güter verkauft, kurbelt das den Arbeitsmarkt an – mehr Mitarbeiterinnen werden eingestellt, mehr Ware muss produziert werden. Dadurch haben mehr Menschen die Möglichkeit, durch ihr verdientes Geld mehr Ware zu kaufen.

„Moderne Gesellschaften brauchen Wachstum, um ihre Institutionen zu stabilisieren – angefangen von der Akkumulationsdynamik kapitalistischer Wettbewerbsökonomie bis hin zu staatlichen Versorgungsstrukturen.“ 

Matthias Schmelzer; Andrea Vetter, Degrowth/Postwachstum zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag, 2019, S.45

Jede Sekunde werden Geldbeträge digital um die Welt geschickt, es wird investiert, wo es Aussicht auf Gewinn gibt. Am Ende eines jeden Jahres wird das BIP10 gemessen und mit dem des Vorjahres verglichen. Die These lautet: Wächst das BIP in Bezug zum Vorjahr, geht es der Wirtschaft und somit der Bevölkerung eines Landes gut. Fällt das BIP jedoch, rechnet der Kapitalismus mit sozialen Krisen. Daraus entwickelt sich die Annahme, dass ohne Wachstum keine stabile Gesellschaft möglich sei.
So geschehen ist es nach dem Ersten Weltkrieg. In der Not der armen Bevölkerung konnte der Populismus der nationalsozialistischen Bewegung gären bis hin zur Machtübernahme, die am Ende unter Hitler zum Zweiten Weltkrieg führte.11 Der Marshallplan und die damit verbundene Zeit des Wirtschaftswunders, hat unter anderem genau die Wiederholung dieses Szenarios verhindert.12 Seit der Weltwirtschaftskrise 2008 ist zu beobachten, dass der Populismus im globalen Norden wieder zunimmt und rechte Parteien starken Zuwachs bekommen.13 14 Die einzige Antwort, die in einem kapitalistischen System anzunehmen ist, ist das BIP anzukurbeln – schneller, günstiger und mehr werden. Aus Sicht der Wirtschaft ist materieller Konsum also unabdingbar. Auch wenn die Konsumentin die Produkte vielleicht nicht wirklich benötigt, so braucht das auf Wachstum basierte System doch die Arbeit, die diese Produkte herstellt und somit die Konsumentin, die diese kauft. Dieses Wirtschaftswachstum, wie wir es heute erleben, hat jedoch sowohl ökologische als auch soziale Negativspiralen zur Folge.

10 „[Das Bruttoinlandsprodukt misst den] Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. (...) Inzwischen wird in der Wirtschaftsstatistik eher das BIP und nicht mehr das Bruttosozialprodukt oder Sozialprodukt (siehe dort) herangezogen, um sich ein Bild über den Wohlstand eines Landes und die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu machen.“ - bpb; bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/18944/bruttoinlandsprodukt

11 Vgl. Jan-Otmar Hesse; Roman Köster; Werner Plumpe, Die Große Depression: Die Welt Wirtschaftskrise 1929-1939, Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2014, S.13

12 Vlg. Stephan Lessenich, Ein Rückblick auf den Wachstumssaat, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 14-15

13 Vgl. Zacharias Zacharakis; www.zeit.de/wirtschaft/2016-03/finanzkrise-einfluss-politik-extreme -angst-rechtsextremismus-linksextremismus-oekonomie

14 Anm: In den 18 Monaten Pandemiegeschehen ist aktiv zu beobachten, wie sich Gesellschaften spalten und gleichzeitig der Politische Fokus auf der Rettung großer Konzerne liegt.

3.2 Die ökologische Kehrseite von profitorientiertem Wachstum

„Die kurzen Verdoppelungszeiten im System der Menschheit [werden] uns erstaunlich rasch an die Grenzen des Wachstums heranführen.“ 

Dennis Meadows, Donella Meadows, Erich Zahn, Peter Milling, Die Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1972, S.75.

„Die Grenzen des Wachstums“ ist der Titel der wissenschaftlichen und allgemein verständlich aufbereiteten Dokumentation über die Lage der Menschheit, herausgegeben 1972 von den internationalen Wissenschaftlerinnen des Club of Rome. Noch etwa zehn Jahre hätte die internationale Gemeinschaft, um größere Umweltschäden zu verhindern. Wettrüsten und Streitigkeiten müsse man zum Wohle der Umwelt überwinden. Das erste Kapitel ist der Gefahr des exponentiellen Wachstums gewidmet, das zweite behandelt dessen Grenzen. Zusammengefasst belegt der Club of Rome in ausführlichen wissenschaftlichen Studien, dass ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum auf der Welt spätestens Ende 2100 irreparablen Schäden anrichtet.15 Exponentielles Wachstum geschieht seit den 1950ern sichtbar auf allen Ebenen: Die Weltbevölkerung, der Anstieg der Emissionen, der Flächennutzung, des Wasserverbrauchs, der neu angemeldete Autos, der aussterbende Tierarten usw.16 Was für die Wirtschaft einen ‚positiven Regelkreislauf‘ ergibt, bedeutet für die Umwelt gleichzeitig eine negative Belastungsspirale.17
Je mehr dabei z.B. nicht regenerierbare Rohstoffe zur Neige gehen, desto mehr wird an der Erdkruste genagt. Es werden zum einen hochsensible und in ihrer Komplexität nicht so schnell wieder herstellbare Ökosysteme zerstört und zum anderen Stoffe freigesetzt, die abermals zu Lasten der Umwelt ausfallen. Dadurch wächst nicht nur die Wirtschaft exponentiell, sondern auch die Umweltverschmutzung und -zerstörung. Und je schneller und je mehr sich die Menschheit von dem Planeten nimmt, desto schwieriger und langwieriger wird es für das Ökosystem, den Schaden zu reparieren bzw. für die Menschen mit dem Schaden zu überleben. Der „Earth Overshoot Day“ ist der internationale Begriff für den jährlichen Erdüberlastungstag, an dem wir die natürlichen Ressourcen, die innerhalb des selben Jahres regenerierbar wären, bereits aufgebraucht haben. 2019 war dieser Tag am 29. Juli. Jedes Jahr verschiebt sich dieses Grenz-überschreitung um ein paar Tage nach vorn.18 Rund 50 Jahre zuvor lag der erste weltweite Überlastungstag noch am 29. Dezember.19 Die Studien zeigen dabei deutlich, dass die Industrienationen viel mehr nehmen, als ihnen proportional gesehen zusteht. Denn obwohl sie eine geringere Bevölkerung aufweisen, verbrauchen sie mehr Ressourcen als die bevölkerungsreichen Nationen. Dabei gilt der globale Norden gleichzeitig als Idealbild, dem aufkommende Wirtschaftsmächte nachstreben möchten. 
Auch die Versuche diese Dinge durch das sog. grüne Wachstum in den Griff zu bekommen, wurden durch Rebound-Effekte20 auf mehrern Ebenen vereitelt. Anstatt Energie zu sparen, brauchen wir heute wesentlich mehr und nur ein Bruchteil davon wird tatsächlich nachhaltig produziert.21

15 „Jedoch zeigt die moderne Umweltforschung, dass nicht das Aufbrauchen kanpper Rohstoffe der Zentrale Engpass für die künftige Entwicklung der Menschheit ist. Die eigentliche ökologische Gefahr liegt vielmehr in der Störung grundlegender Erdsystemprozesse, die für menschliches Leben in seiner heutigen Form von zentraler Bedeutung sind.“ - Uwe Schneidewind, 
Die Große Transformation, Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2018, S.125

16 Vgl. Elmar Altvater, Das Erdzeitalter des Kapitals, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 46

17 Vgl. Elmar Altvater, Der Grundwiderspruch des 21. Jahrhunderts, in: Ebd, S. 19

18 Anm: Dies ist für 2020 nicht korekt. Der EOD ist in Folge der Corona Pandemie auf dem 22. August nach hintengefallen. Dies wird auf den Zeitweise eingeschränkten den Flug- und Individualverkehr, sowie eine geringere Auslastung der Industrie zurückgeführt. 2021 sind wir mit weniger strengen Maßnahmen wieder auf dem 31. Juli gelandet.

19 Vgl. Global Footprint Network; www.overshootday.org

20 „Zunächst gibt es finanzielle Rebound-Effekte: Effizientere Technologien sparen häufig Geld ein, das man an anderer Stelle für Konsum oder Investition ausgeben kann. (...) Zweitens gibt es materielle Rebound-Effekte, da schon die Herstellung effizienterer Maschinen einen Teil des Einsparpotenzials auffrisst. (...) Werden mehr Quecksilber oder Leichtbauteile aus Aluminium in hocheffizienten Fahrzeugen eingesetzt, wird der produktionsbedingte Energieverbrauch steigen. (...) Drittens gibt es den psychologischen Rebound-Effekt: Effizientere Produkte verändern nämlich nicht nur ihre technischen, sondern auch ihre symbolischen Eigenschaften. (...) Studien legen nahe, dass sich manche Verbraucher nach dem Konsum ‚ethischer‘ Produkte berechtigt fühlen, an anderer Stelle ‚unethisch‘ zu konsumieren.“ - Tilman Santarius,
Umweltfreundlich mehr verbrauchen, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 57

21 Vgl. Maja Göpel, Unsere Welt neu Denken, Berlin:Ullstein Burchverlage, 2020, S. 98.

3.3 Wohlstand für alle durch Wachstum?

Obgleich der Sozialökologischen Wachstumsökonomie eine Sicherung von Arbeitsplätzen und die Förderung des allgemeinen Wohlstands zugeschrieben wird, wird die Lebensqualität in den Industriestaaten kaum gesteigert und führt international viel mehr zu einer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich. Soziale Ungleichheit ist Wachstumstreiberin und Verursacherin: 

„Ungleichheit ist ein Stachel – für mehr Leistung, mehr Wachstum und mehr Wohlstand, wie liberale Ökonomen nun anerkennend anmerken würden. Vor allem aber stachelt Ungleichheit, vermittelt über das von ihr angetriebene Wachstum, die Produktion immer neuer Ungleichheiten an – ein Effekt, den liberale Ökonomen nicht ganz so gern an die große Glocke hängen. Ungleichheit reproduziert sich an sich selbst. Und das gilt nicht nur innerhalb einzelner Gesellschaften, sondern erst recht im Weltmaßstab.“

Klaus Dörre; Stephan Lessenich; Hartmut Rosa, Lob der Gleichheit in: Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, S. 160–161

Global betrachtet entsteht hier ein starkes Nord-Süd-Gefälle, das besonders durch die imperiale Lebensweise des globalen Nordens verursacht wird. Vom Rohstoffhandel abhängige Nationen haben darin kaum eine Möglichkeit, sich ein unabhängiges Wirtschaftssystem aufzubauen, da oftmals die Rohstoffquellen in Händen großer, nicht lokaler Wirtschaftskonzerne liegen.22 Im schlimmsten Fall werden sogenannte Stellvertreterkriege der mächtigsten Industriestaaten geführt, in denen es vor allem darum geht, wer am Ende etwa über die Ölvorkommen bestimmen darf. Besonders die auf Wachstum ausgelegte ‚Entwicklungspolitik‘ steht hier in der Kritik:

22 Vgl. Matthias Schmelzer; Andrea Vetter, Degrowth/Postwachstum zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag, 2019, S.130-140.

„Mit der neuen Ära der Entwicklungspolitik wurde die Ökonomie des Lebensunterhalts – nun leicht verächtlich als ‚Subsistenz‘ bezeichnet – zu einem Synonym für Unterentwicklung. Diese Unterentwicklung zu überwinden und die ganze Welt in die Ökonomie der Entwicklung, also des Wachstums zu führen – damit erlebte das Kolonialisierungsprojekt nach dem zweiten Weltkrieg seine Fortsetzung. Der Rassismus erhielt ein neues Gesicht: Unterentwickelt zu sein, ist minderwertig, nur wer entwickelt ist, gehört zu den Überlegenen.“

Veronika Bennholdt-Thomsen, Subsistenz ist die Lösung, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 163.

Während also der globale Norden den globalen Süden legal ausbeutet, hat letzterer, auch auf Grund fehlender Infrastrukturen, ungleiche Chancen sich dem entgegenzustellen. Dadurch kann sich an dem Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis kaum etwas ändern.
Das Argument, man brauche nur etwas gegen den Anstieg der Weltbevölkerung, vor allem in den ärmeren Ländern zu unternehmen, ist weitgehend als rassistisch und fehldiagnostiziert zu betrachten.23 Auch Frauenrechte und Frauen stehen weltweit innerhalb der Wachstumsökonomie außen vor. Einen sehr wichtigen Part hat somit auch der feministische Blickwinkel. Aus dieser Sicht fördert das Wachstum ungleiche und profitable Geschlechterverhältnisse. Kritisiert wird unter anderem die Haltung des Wachstumssystems gegenüber der sogenannten Reproduktions- und Sorgearbeit, die weltweit überwiegend von Frauen erbracht wird. Da Kindererziehung und Pflege von Angehörigen, Ehrenamt und Haushaltsführung für das BIP nicht zählen, wird diese wichtige Arbeit, ohne die letztlich keine Gesellschaft überleben könnte, gar nicht oder nur geringschätzig beachtet. Dass die Wirtschaft durch Privatisierung von Krankenhäusern und anderen Pflegeeinrichtungen trotzdem versucht, aus dieser gesellschaftlichen Mehrgenerationenaufgabe Profit zu schlagen, wird nicht zuletzt an den Entwicklungen der Arbeitsbedingungen von Alten- und Krankenpflegerinnen und der oft unwürdigen Unterbringung von Pflegebedürftigen sichtbar. Sind Frauen erwerbstätig, erhalten sie weltweit, bei gleicher Leistung, ein durchschnittlich geringeres Gehalt als Männer.24 Ungeachtet der Geschlechterrolle wird der Mensch in unserem Wirtschaftssystem zu einer Maschine, die es möglichst zu optimieren gilt. Mitarbeiterinnen werden nach Gesichtspunkten der Effizienz verglichen, Fabrikangestellte sollen, anstatt dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, die Arbeitsstunden zu reduzieren, mit jeder neuen Maschine mehr produzieren. Dies widerlegt die These, dass mit effizienterer Technik mehr Freizeit entstehe. Innovation im kapitalistischen System bedeutet mehr Warenherstellung durch weniger Vollzeitarbeiterinnen. Aus kultureller Sicht fördert die im Wachstum geforderte Steigerungslogik eine entfremdete Gesellschaft, in welcher der Mensch als Subjekt zum Wachstumsobjekt degradiert wird (Vgl. Ebd. S. 91-99). Insgesamt wird dadurch die Ressource Zeit für die Arbeitnehmerinnen immer knapper und der Anteil der Erwerbslosen in der Bevölkerung immer höher. Hier zeigt sich ganz deutlich, dass in diesem Modell die Lebensqualität nicht durch weiteres Wirtschaftswachstum gesteigert wird.25 

23 Vgl. Internationale Gesellschaft für Menschenrechte; igfm.de/china-ein-kind-politik/
24 Vgl. Matthias Schmelzer; Andrea Vetter, Degrowth/Postwachstum zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag, 2019, S.111-120.
25 Vgl. Ebd. S. 101. Anm: Ein Grund für die Notwenigkeit zahlreicher Lokdowns und die teilweise fatalen Tragödien während der Pandemie sind die Folgen von
kaputt gesparten Gesundheitssytemen und privatisierten, profitorientierten Krankenhäusern.

3.4 Postwachstumsgedanken

Die Veröffentlichung des Berichtes des Club of Rome hatte den Effekt eines kurzen Aufhorchens der Politikerinnen und der Entwicklung einer neuen gesellschaftspolitischen Debatte, die bis heute an Relevanz gewinnt:

„Erste Wachstumsverweigerer versammelten sich unter dem Motto der ‚Décroissance‘, was auf Deutsch so viel wie Wachstumsrücknahme heißt. Nachdem 1979 das Buch ‚Demain la Décroissance!‘ von Nicho-las Georgescu-Roegen, dem Begründer der ökologischen Ökonomie, erschienen war, etablierte sich der Begriff endgültig in der französischen wissenschaftlichen und intellektuellen Debatte. Dabei meint Décroissance nicht nur die notwendige Verringerung des Verbrauchs von Materie und Energie und somit des gesamten Wirtschaftsvolumens in den Industrieländern. Sie verkörpert auch eine Kritik an der Kultur der permanenten Steigerung, die darauf hinausläuft, dass Wachstum zum eigentlichen Ziel der Wirtschaftspolitik und zum Synonym für Entwicklung schlechthin wird.“

Barbara Muraka, Wie alles anfing, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 109.

Die Politik baut dennoch auf das Konzept der nachhaltigen Entwicklung. Wachstum soll mit ökologischen Zielen verknüpft werden. Dass diese Strategie nicht aufgeht, rückt mehr und mehr in den Fokus der Kritiken. Auf dem Unesco Koloquium 2002 in Paris wurde erstmals eine Allianz zwischen globalisierungskritischen Bewegungen im Süden und der Ökobewegung im Norden gefordert. Hierbei wird thematisiert, dass die Entwicklungshilfe unabhängige und selbstständige Wirtschaftsstrukturen der bis dahin sogenannten Entwicklungsländer zerstört. Vielmehr müsse Reduzierung als erstes von den Industrieländern und deren bisherigen Drang zu Konsum- und Produktivitätssteigerungen ausgehen. Nach dem Ökonom und Philosoph Serge Latouche ist die Abkehr vom kolonialisierten Wachstumsdenken auch ein Prozess geistiger Befreiung:

„Die Idee einer nachhaltigen und freiwilligen Décroissance unterscheidet sich somit von ungeplanten Schrumpfungsszenarien wie Wirtschaftskrisen und zielt darauf ab, moderne Gesellschaften wachstumsunabhängig zu machen“.

Barbara Muraka, Wie alles anfing, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 109.

Aus einer kleinen Truppe nonkonfomer Aussteigerinnen in Frankreich hat sich innerhalb von zwanzig Jahren eine international vernetzte heterogene Bewegung entwickelt. Heute finden sich zu dem Thema Degrowth/Postwachstum/Décroissance weit mehr als 200 Bücher und Publikationen. Dabei trifft der deutsche Begriff „Post-Wachstum“ den Kern relativ genau, geht es doch nicht um eine generelle Schrumpfung: 

„Degrowth steht für eine Gesellschaft mit einem geringeren Metabolismus oder Stoffwechsel, aber noch wichtiger für einen Metabolismus, der eine andere Struktur hat und neue Aufgaben erfüllt. Degrowth verlangt nicht, dasselbe in einem kleinen kleineren Rahmen zu tun. Das Ziel ist nicht, den Elefanten schlanker zu machen, sondern es geht darum, ihn in eine Schnecke zu verwandeln.“

Matthias Schmelzer; Andrea Vetter, Degrowth / Postwachstum zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag, 2019 S. 148 nach: D‘Alisa, Öko et al.2016:20

Kritische Stimmen halten dagegen:

„Die Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft basieren letztlich immer auf der Idee, Arbeit und Einkommen zu reduzieren. Doch der Kapitalismus ist keine Badewanne, bei der man einfach die Hälfte des Wassers ablassen kann. (…) Stattdessen ist der Kapitalismus ein permanenter Prozess. Sobald es kein Wachstum gibt, droht chaotisches Schrumpfen – was die Gesellschaft instinktiv weiß. (…) Selbst die Umwelt profitiert nicht automatisch, wenn die Wirtschaft taumelt (…). In einer Wirtschaftskrise ist die Natur das erste Opfer. (…) Wenn man Wachstum verhindert, wäre der Kapitalismus zwar beendet, aber das Ergebnis wäre nicht jene ökologische Kreislaufwirtschaft, die sich die Umweltschützer erhoffen. Viel mehr wäre es eine Wirtschaft im freien Fall, die Panik erzeugt. Es erschüttert die Menschen zutiefst, wenn sie ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen verlieren. Alle großen Wirtschaftskrisen waren ungemein gefährlich – für die Demokratie. Auch in den Krisenländern der Eurozone ist bereits zu beobachten, dass Regierungen auseinanderfallen und rechtspopulistische Parteien erstarken“

Ulrike Hermann, Der schwierige Übergang, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung. Berlin: Taz, 2015, S. 104–107

In Zeiten, in denen die zehn reichsten Männer der Welt mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung und in denen wir mehrere ökologische Kipppunkte bereits erreicht haben,26 ist es allerdings eine berechtigte Frage, ob mehr Wirtschaftswachstum wirklich weiterhin unser Ziel sein darf und ob wir nicht vielmehr an ernsthaften Transformationsstrategien arbeiten müssen. Wie man die Gesellschaft dabei mitnimmt, ist eine der elementaren Fragen der Postwachstumsgesellschaft, die sich dieser Radikalisierungsmechanismen durchaus bewusst ist. Die Bewegung betrachtet sehr genau, auf welchen Pfeilern sich das aktuelle Wirtschaftssystem wirklich stützt, warum dessen Zusammenbruch in einer Radikalisierung mündet und forscht daran, wie man genau diese Problematik durch einen konstanten Wandlungsprozess systematisch verhindern kann. 

„Postwachstum ist nicht nur Kritik, sondern auch Vorschlag und Vision für eine bessere Zukunft. Postwachstumsentwürfe zielen darauf ab, das ‚soziale imaginäre‘ zu befreien, und formulieren konkret-utopische Politiken oder auch reale Utopien, die eine gesellschaftliche Transformation und einen Umbau der frühindustrialisierten Wachstumsgesellschaften anstreben.“

Matthias Schmelzer; Andrea Vetter, Degrowth / Postwachstum zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag, 2019, S. 146

Das konkrete Ziel ist die globale ökologische Gerechtigkeit, die sich über den Konsens des gutes Lebens für Alle und über die Wachstumsunabhängigkeit ermöglichen kann.
Globale ökologische Gerechtigkeit heißt, dass weltweit ökologisch notwendige Grundlagen geschaffen werden müssen, etwa damit sich Städte und Kommunen wieder selbstständig und in lokaler Produktion versorgen können. Radikale Veränderungen durch Reduktion der Wirtschaftsleistungen, den Umbau von Produktion und Konsum sowie eine Deprivilegierung der globalen Eliten, sei dafür eine notwendige Bedingung. Wirtschaftswachstum, das nur für zukunftsfähige Sektoren prosperiert werden darf, müsse man von Rohstoff- und Energieverbrauch ausreichend entkoppeln. Damit das funktioniert, müssen wir die Wachstumsgesellschaft nicht zuletzt in unseren Köpfen überwinden. Soziale Gerechtigkeit ohne Wachstum könne man durch vertiefte demokratische Prozesse, mehr Selbstbestimmung, Subsistenz, Zugänglichkeit und Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftsbereiche erreichen. Soziale und kulturell erkämpfte Rechte dürfen auf keinen Fall verloren gehen und sollen erhalten werden. Ein gutes Leben gelänge, entkoppelt vom materiellen Überfluss, über einen Zeitwohlstand, Gemeinschaftlichkeit und Resonanz. Konsum müsse weg von den extrinsischen und hin zur Förderung der intrinsischen Werte ausgebaut werden. Dafür brauchen wir neue materielle, technische und mentale Infrastrukturen sowie gesellschaftliche Institutionen, die wachstumsunabhängig agieren. Dies seien grundlegende Bedingungen für eine gesellschaftliche Autonomie (Vgl. Ebd. S. 158-174) Hinreichende Bedingungen für diese Umwälzungen seien etwa Obergrenzen für Ressourcen, Landverbrauch und Emissionen und eine offene Relokalisierung beziehungsweise Deglobalisierung der Wirtschaft, welche sich an konkreten Bedürfnissen orientieren muss. Es bräuchte dezentral verteilte Produktionen – etwa durch globales Design, Open-Source-Lizenzen und lokale Produktionsstätten – und existierende Kooperationen wie Gemeingüter, Kommens, gemeinwohlorientierte Unternehmen und genossenschaftlich organisierte Betriebe. Ökonomische Entscheidungen müssten über die Politik und demokratische Mitsprache getroffen werden.
Grundsätzlich muss die unabhängige Erwerbsarbeit und der Lebensunterhalt durch eine Grundversorgung gesichert werden. Einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte in der Postwachstumsdebatte ist wohl die Neubewertung der Arbeit, denn das Arbeitszeitmodell der 40-Stunden-Woche ist nicht nur in diesem System obsolet. Die Studien, die von keiner Glückssteigerung nach der Überschreitung einer bestimmten Einkommensgrenze berichten, dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass Leute für gleiches Geld mehr arbeiten, sondern im Gegenteil, sie sollten die Rückkehr zur Subsistenzarbeit ermöglichen – die, wie bereits erwähnt, einst von der Wachstumsökonomie in den Entwicklungsländern verhindert werden sollte:

„Der Schaden, der durch den Aufstieg dieses kolonialisierten Regimes entstanden ist, hat bis heute seine Spuren auf beiden Seiten der Globalisierung hinterlassen. Vielleicht sogar noch größer auf der Seite der sogenannten entwickelten Länder, weil die Menschen dort sich stolz mit den Mechanismen von Wachstum und Konsum identifizieren und weil sie die Gehirnwäsche, der sie zum Opfer gefallen sind, schwerer durchschauen als diejenigen, die gern als unterentwickelt bezeichnet werden. Die Gleichsetzung von Subsistenz mit ‚Unterentwicklung‘ unterstellt Subsistenzwirtschaft bedeutet Armut, Knappheit, das Fehlen von Märkten und Arbeitsteilung, ein schlechtes Leben, kurz: Mangel. Aber das ist nicht wahr. […] Subsistenz […] bezeichnet, das, was aus sich selbst, aus eigener Kraft heraus existiert und entspricht dem Wachstum der Natur, dem Gesetz des Entstehens und Vergehens.“

Veronika Bennholdt-Thomsen, Subsistenz ist die Lösung, in: Babara Bauer (Hg.), Atlas der Globalisierung, Berlin: Taz, 2015, S. 163.

4. Handlungsspielräume

4.1 Sozialverträglich Arbeiten

„Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit ließen sich Selbst- und Fremdversorgung so kombinieren, dass die Geld- und Wachstumsabhängigkeit sinkt.“

Niko Paech; endlich-wachstum.de/wp-content/uploads/2015/10/Kapitel-5_ Die-20-Stunden-Woche_Hintergrundtext.pdf

Die Idee der 30-Stunden-Woche aus ‚Utopia‘ von Thomas Morus hat 2016 ihren 500. Geburtstag gefeiert. Heute liegt die Durchschnittsarbeitszeit trotz technischen Fortschritts bei 41,5 Stunden pro Woche.
In einer Zeit, in der am Ende eines jeden Jahres die Arbeitslosenzahlen mit denen des Vorjahres verglichen werden, in der in Deutschland der abschätzige Begriff „Hartzer“ existiert, während Burn-Out zu einer häufig gestellten Diagnose wird und Stress eines der zentralen Thema nach Feierabend ist, wirkt ein neues Arbeitszeitmodell alles andere als utopisch. Zu oft wird über Anbau- und Verarbeitungsländer [etwa für die Textilbranche] vergessen, dass dort eine große Diskrepanz zwischen Arbeitslosen und Arbeitssklaven besteht. Arbeit ist ausreichend vorhanden, aber wenn sie so schlecht bezahlt ist, dass man 70 Stunden die Woche arbeiten muss, um zu überleben, reicht sie eben nicht für alle. In diesem Fall ist das Gedankenspiel erschreckend simpel: Teilt man die Arbeitszeit und verdoppelt gleichzeitig das Gehalt, hätten 200% mehr Menschen Arbeit. Dabei würde das Produkt kaum merklich teurer werden.
Die Reduzierung der reinen Erwerbsarbeit auf 20 Stunden die Woche hätte Niko Paech zufolge gleich mehre positive Faktoren. Bereits die Tatsache, dass wir mehr Zeit hätten, habe nachhaltige Auswirkung auf den Verbrauch von Ressourcen. Wer weniger arbeitet, hat mehr Zeit für soziale Beziehungen und braucht daher weniger Ersatzgüter.27
Hätten wir dazu einen breites Angebot, etwa von Tauschringen, Nutzungsintensivierungen durch Gemeinschaftsnutzung von Gelegenheitswerkzeug (z.B. Bohrmaschinen und Akkuschrauber) und Nachbarschaftshilfe, könnten wir – so das Credo von Peach – gut die Hälfte unseres Ressourcenbedarfs eindämmen.
Was wir nun nicht mehr bräuchten, sind die finanziellen Mittel für einen kompletten eigenen Gerätehaushalt. Wir hätten mehr Zeit, uns teils selber um unsere Pflegebedürftigen zu kümmern, bekämen idealerweise das meiste Obst und Gemüse aus gemeinschaftlich betriebenen Gärten und das momentane Konsumverhalten wäre als Strategie gegen ein fehlendes Glücksgefühl obsolet. 20 Stunden zum Lebensunterhalt ausreichend bezahlte Arbeit würden also reichen, um unsere Grundbedürfnisse und den einen oder anderen Luxus zu finanzieren. Nach der Theorie ließen sich nun die meisten Bedürfnisse durch eine Regionalökonomie befriedigen lassen. Die übrigen industriellen Strukturen müsse man dahingehend umgestalten, dass der Fokus weniger auf neuen, sondern mehr auf der Umgestaltung und Aufwertung von alten Gütern läge. Neue Produkte müsse man generell langlebig gestalten und renovierungs- und optimierungsfähig herstellen. Also zum Beispiel keine noch schmaleren Smartphones zu produzieren, sondern welche, in denen ausreichend Platz für Schrauben und austauschbare Kleinteile vorhanden ist. Das neue Ziel der Anbieterinnen solle nicht mehr Expansion, sondern Optimierung sein. Technischer Fortschritt, da ist sich die Postwachstumsbewegung einig, dürfe nicht länger darauf verwendet werden, in immer kürzerer Zeit und mit immer weniger Personal mehr zu produzieren, sondern sollte ausschließlich für eine schadstoffärmere, energieeffizientere und wassereinsparende Industrie entwickelt werden. Ein Nebeneffekt der 20-Stunden-Woche wäre auch hier, dass die Arbeit gerecht verteilt würde, sodass die Arbeitslosenzahlen tatsächlich sinken würden. Selbstredend lässt sich so ein Modell nicht von heute auf morgen umsetzen und ist zunächst ein höchst voraussetzungsvoller Idealtypus.28
Einen ersten Ansatz, um im eigenen Leben einen neuen Rhythmus auszuprobieren, bietet die 4 in 1 Perspektive von der Soziologin Frigga Haug. Dieses Modell möchte Erwerbs-, Reproduktions-, Entwicklungs- und Gemeinwesenarbeit zu gleichen Teilen in unseren Alltag integrieren. In der gegenwärtigen Gesellschaft sprechen wir vor allem dann von Arbeiten, wenn es um Lohnarbeit geht. Die 4 in 1 Perspektive ist eine aktive Gleichberechtigungsstrategie etwa von der Kindererziehung und Elternpflege zuhause und dem Managment in einem großen Unternehmen, der eigenen Bildung und dem ausüben eines Ehrenamtes. Wenn wir in jedem dieser Bereiche pro Tag etwa vier Stunden tätig seien und die letzten acht davon schliefen, könnten wir ein ausgeglichenes Leben führen. Durch diese Art der Aufteilung würde deutlich, wieviele Dinge abseits der monetären Arbeit geleistet werden müssen. Zuende gedacht würden dann, durch die Schrumpfung von 40 auf 28 Stunden Lohnarbeitswoche, insgesamt mehr finanziell entlohnte Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.29

27 Vgl. Niko Paech, Befreiung vom Überfluss, München: Oekom Verlag, 2012, S.147
28 Vgl. Deutsche Welle; dw.com/de/paech-wir-sollten-nur-20-stunden-arbeiten/a-42402498
29 Vgl. Frigga Haug; postwachstum.de/die-vier-in-einem-perspektive-eine-utopie-von-frauen-die-eine-utopie-fur-alle-ist-20110828

4.2 Transition-Towns und andere Freiräume

„Jeder Schritt in eine vom ‚buisness as usual‘ abweichende Richtung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass auch der nachfolgende zweite, dritte und vierte Schritt in dieser Richtung verfolgt wird – genauso wie umgekehrt das Verfolgen des konventionellen, nicht-nachhaltigen Pfades die Wahrscheinlichkeit einer irgendwann stattfindenden Abweichung verringert.“

Bernd Sommer; Harald Welzer, Transformationsdesign, München: Oekom Verlag, 2014, S.177.

Orte, an denen sich Menschen zusammen finden, die gemeinsam beginnen eine abweichende Lebensweise zu führen, können sich als Transition-Town einem wachsendem Netzwerk anschließen. Gründer des Transition Networks ist Rob Hopkins, der 2007 begann, zusammen mit Aktivistinnen, seine Heimatstadt Totnes zukunftsfähig zu gestalten (Vgl. Ebd. S. 181).
Mit der „Power of Just Doing Stuff“ die Alternativlosigkeit zu widerlegen und sich als Bewegung ermächtigen, selber Dinge in die Hand zu nehmen, eine ganze Stadt resilienter zu machen, darum geht es in der Umsetzung. Transition ist nach Rob Hopkins ein freies Konzept:

„Transition ist kein feststehendes Modell; es gleicht eher einer Speisekammer oder einem Gemischtwarenladen voller verschiedener Zutaten. (…) Transition ist also ein Designprojekt, bei dem einige Bestandteile und Werkzeuge universell (z.B. Open Spaces oder World Cafés) sind, jedoch überall individuelle Lösungen gefunden werden müssen.“

Bernd Sommer; Harald Welzer, Transformationsdesign, München: Oekom Verlag, 2014, S. 182 f.

Oftmals starten solche Projekte mit einer kleinen Gruppe Aktivistinnen, die versuchen, so viele wie möglich mit einzubeziehen. Daraus können sich dann beispielsweise neue Wertschöpfungsketten, Energiegenossenschaften, Tausch- und Leihbörsen, Gartengemeinschaften entwickeln. Transition-Town-Bewegungen haben ihre Stärke in der sozialen Einheit Stadt oder Kommune. Prozesse können auf Ebenen dieser Größe viel einfacher und schneller organisiert und in Gang gesetzt werden, als es etwa auf nationaler oder internationaler Ebene der Fall ist (Vgl. Ebd. S. 186.). Zudem fördert es die Resozialisierung in den Großstädten. Die Transition-Town Bewegung ist ein lernendes Netzwerk. Projekte können scheitern, aber idealerweise auch erfolgreich und ein Vorbild für andere sein.
Ist nicht gleich die ganze Stadt involviert oder handelt es sich dabei um ein Projekt auf dem Land, sprechen wir auch von Freiräumen oder gelebten Utopien. Von Quer-Feministischen Safe-Spaces über städtische Skateparks bis hin zu Tauschlogigfreien Orten wird hier alles mögliche ausprobiert und gelebt.
Im Idealfall streuen diese Projekte nach Außen hin und erreichen Konsumentinnen, unterbrechen ihren Weg und bieten eine andere Möglichkeit vom Alltag abzulenken. Ein Beispiel dafür ist der 2019 eröffnete Unverpackt-Ort Frau Lose in Dortmund. Frau Lose handelt nach einem Non-Profit Konzept und lebt damit Postwachstumgedanken. Hier steht nicht der exponentielle Gewinn, sondern das soziale Miteinander und die tatsächliche Nachhaltigkeit im Vordergrund. Es gibt einen Foodsharing Kühlschrank, ein Solawi- und ein Gib- und Nimmregal. An einer Pinnwand neben der Kasse hängen gesammelte Soli-Beträge, die Menschen in Armut zum Bezahlen nehmen dürfen. Zusätzlich zu der Möglichkeit Nahrungsmittel verpackungsfrei und regional einzukaufen, bietet Frau Lose ein wechselndes Workshop-Programm, in dem es um allerlei Themen rund ums Selbermachen, Lach-Yoga und ‚Resilienz‘ geht. Besonders einladend zum Weilen wirken hier jedoch das Kaffee- und Kuchenfenster und die Leseecke:

„In der ‚modernen‘ Welt gibt es viel Gelegenheit zu digitalem Kontakt. Von Angesicht zu Angesicht ins Gespräch zu kommen, wird dadurch nur selten erleichtert. Deshalb laden wir euch herzlich dazu ein, einfach einmal vorbei zu kommen. Schaut euch um, lest ein Buch, erzählt uns von euren Ideen (zum Bei-spiel zu alternativem Wirtschaften) oder noch besser: überrascht uns.“

Frau Lose; frau-lose.de/rheinische-strasse-24

Insgesamt zeigt sich: Gibt es eine kleine Gruppe, die anfängt, hat das einen Gewissen Dominoeffekt. Ein zentraler Punkt ist das Miteinander. Eine öffentliche Werkstatt, ein Unverpackt-Laden, ein Gemscheinschaftsgarten und ein Tauschgeschäft können gemeinsam etwas bewirken. Raumgestaltung kann hier einen positiven Impact auf die Konsumentin haben. Doch reicht es aus, auf lokaler Ebene ein paar Orte umzuwandeln? 
Das Transformationsdesign befasst sich mit der Frage, ob und wie wir langfristig eine nachhaltige und sozialgerechte Gesellschaft im großen Maßtab gestalten können.

4.2 Transformationsdesign – Baby Steps bevor Big Failures

Die Skepsis vor einem Systemwandel ist auch durch solche Erfahrungen geprägt, in denen tief greifende Gesellschaftstransformationen stets von starken Auseinandersetzungen und Gewalt begleitet wurden. In einer Demokratie offen über eine Schrumpfung der Wirtschaft zu reden oder auszusprechechen, dass man etwa den Individualverkehr einschränken wolle, kostet Stimmen.30 Außerhalb einer Demokratie würden die Mitspracherechte der Bürgerinnen eingeschränkt, was im Widerspruch zur Selbstbestimmungs-Philosophie der Postwachstumsbewegung stünde. Der Klimawandel nimmt auf politische Hürden allerdings keine Rücksicht. Die Frage, die an dieser Stelle prominent im Raum steht ist, ob der Wandel „by design or by desaster“ (Vgl. Ebd. S. 143) stattfinden wird. Dass sich die Menschen früher oder später anderen Bedingungen anpassen müssen ist unabdingbar.
Transformation aktiv gestalten meint, sich all den Fragen zur globalen sozialen Gerechtigkeit und zum Klimawandel zu stellen und Zusammenhänge verstehen lernen. Um dieser Komplexität gerecht zu werden ist transdiziplinarität, also mit verschiedenen Fachgebieten zusammenarbeiten, eine der wichtigsten Kernkompetenzen für das Transformationsdesign. Betroffenen zuhören, sie mit der Soziologin und der Psychologin, der Ingineurin und der Biologin an einen Tisch zu bringen und gemeinsam über Bedürfnisse und Probleme reden ist notwendig für intelligente und akzeptanzfähige Veränderungsprozesse.
Nun würde auch das klassische Design von sich behaupten, dass es Problemlöserin ist. Der große Unterschied zum Transformationsdesign beginnt jeodch schon im Entwurfsprozess. Für die Küche entwirft die klassische Designerin im laufe der Jahre erst lauter zeitsparende Geräte um sie dann später engergieärmer zu erneuern. Je nach dem wie stark wir uns einer Energiewende anpassen müssen, kann sie sich in ein paar Jahren an einem vorindustrielle Haushalt orientieren. Dem Soziologen Lucius Burkhardt zufolge reproduziert das klassische Design damit Jahrzehnt um Jahrzehnt dieselben Strukturen – in diesem Fall die der Einzelkämpferin Hausfrau.31 Die Problematik hier: Kochen kostet Zeit. Traditionell steht dafür eine Person einige Zeit in der Küche. Die Transformationsdesignerin könnte nun hingehen und sagen: Lass uns aus dem Zubereiten von Mahlzeiten ein gemeinschaftliches Event machen. Warum nicht anstatt bei Scotch und Bier über Zwiebeln und Kartoffeln die Welt diskutieren? Nachhaltiger als elektronische Abhilfen ist dies allemal, birgt zusätzlich einen Sozialfaktor und lässt die beste Köchin der Gemeinschaft nicht alleine hinter dem Herd zurück. 
Das Schlüsselelement ist hier die Prozessgestaltung. An dieser Stelle unterscheidet sich das Transformationdesign maßgeblich vom Produktdesign. Das Produktdesign sucht immer nach einer absoluten Lösung in möglichst habtischer Form und stellt diese formvollendet erst am Ende des Prozesses der Zielgruppe vor. Derweil arbeitet das Transformationsdesign von Beginn an mit allen Beteiligten zusammen und bietet am Ende der Problemanalyse einen Prozessvorschlag, mit dem nun die nächsten ein- bis x-Schritte gegangen werden können. Dabei hält es sich vor, nach jedem Schritten neu zu überlegen wie es weitergehen kann und ggf. den Weg zu ändern oder abzubrechen:

30 Vgl. Niko Paech, Befreiung vom Überfluss, München: Oekom Verlag, 2012, S. 20.
31 Vgl. Lucius Burckhardt, Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch in: Jesko Fezer; Martin Schitz (hg), Berlin 2004, S.187-199

„Transformationsdesign geht […] davon aus, dass die Frage das entscheidende ist: Welches Ziel möchte ich erreichen, was sind die dafür erforderlichen Mittel? Mögliche Antworten darauf schließen ein, dass man sogar das Ziel selber in Frage stellt. (…) Transformationsdesign strebt (…) nach dem kleinstmöglichen Aufwand. Dieser kann auch bei Null liegen.“

Bernd Sommer; Harald Welzer, Transformationsdesign, München: Oekom Verlag, 2014, S. 114.

Damit reagiert es auf die äußerst sensiblen Anforderungen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Je radikaler wir in solchen komplexen Systemen Veränderungen durchzusetzten versuchen, desto radikalere und unerwünschtere Folgen müssen wir befürchten.32 
Donella Meadows, die einst den Bericht des Club of Rome herausgab, schreibt Jahrzehnte später über systemisches Verhalten. Sie thematisiert die oben erwähnten Rückkopplungsschleifen, spricht von der Zeitverzögerung zwischen Handlung und Reaktion besonders bei größeren Systemen33 und schließlich listet sie Hebelpunkte auf, an denen wir den großen Elefanten in Bewegung setzen oder auch ausbremsen können (Vgl. ebd. S.214 ff). Eines ist klar: Transformationsdesignerinnen wird viel Geduld und Fingerspitzengefühl abverlangt. Wir brauchen zwar einen zügigen Wandel, aber dieser lässt sich eben eher durch viele kleine und kontrollierbare Prozesse bewirken, anstatt durch einen großen Masterplan.

32 Vgl. Herbert Simon; Die Wissenschaft vom Künstlichen, Wien, New York: Springer-Verlag 1994, S. 120 ff
33 Vgl. Donella Meadows, Die Grenzen des Denkens, München: Oekom verlag 2019, S.83

5. Fazit

Ziel der Bachelorarbeit war es, die Anknüpfungspunkte herauszufinden, an denen Design und Kreativität eine umweltbewusste und sozial gerechte Gesellschaft unterstützen können.
Die Sachlage ist, dass kommerzielles Design in erster Linie das Wohlergehen der Gesellschaft durch Wirtschaftswachstum fördert, welches klimatechnisch jedoch nicht länger die Antwort auf die sozialen Probleme sein darf. Kreativität ist stattdessen an dieser Stelle im Transformationsdesign von einer Wachstums- in eine Postwachstumsgesellschaft gefragt. Szenografische Konsumwelten zeigen, dass das Erlebnis und das soziale Miteinander zentrale Punkte des Shoppengehens sind. Der Mehrwert einer großen Auswahl liegt darin, sich individuell ausdrücken zu können. Problematisch wird es durch die Werbung, die der Gesellschaft verspricht, vor allem durch neue Produkte glücklich zu werden. Das Wachstumssystem braucht diese Art des Konsums, um Arbeitsplätze zu erhalten, welche im Umkehrschluss zu einer zufriedenen Bevölkerung führen. Die Recherchen haben jedoch ergeben, dass der wachstumsfördernde Kapitalismus die Weltbevölkerung in Hinblick auf eine soziale Ungerechtigkeit spaltet und zusätzlich maßgeblich zum Klimawandel beiträgt.
Lösungen für diesen Zwiespalt liegen möglicherweise in der Postwachstumsökonomie, die zwar schlüssig formulieren kann, wie eine neue Gesellschaft handeln müsste, bislang jedoch einen eher theoretischen Status hat. Dennoch können sich Designerinnen an ihr orientieren: Ein gelungenes Transformationsdesign bringt, wie sich anhand zahlreicher Transitionsprojekte gezeigt hat, gesellschaftliche Prozesse in Gang. Es kann die Subsistenzfähigkeit lokaler Gemeinschaften fördern. Subsistenz ist der Dreh- und Wendepunkt, an dem globale Abhängigkeiten mit wenigen vorhandenen Mitteln voneinander gelöst werden können. Die Machtlosigkeit hinter dem Satz „eine Einzelne kann doch nichts verändern“ stimmt genau dann, wenn diese Gesellschaft weiterhin aus Einzelkämpferinnen mit materialistischen und kapitalistischen Werten besteht. Doch können diejenigen, die die Fähigkeiten haben, andere mit ihren Ideen zu inspirieren und in lokalen Projekten vernetzt sind, viele kleine Bewegungen lostreten.
Wir müssen aufhören, uns an den Problemen aufzuhängen, sondern sollten uns mit den Lösungen beschäftigen. Insofern verstehe ich eine Aufgabe als Objekt- und Raumdesignerin darin, die Menschen dazu zu verführen, weniger neu zu konsumieren, ohne dass ein Gefühl von Verzicht aufkommt. Wie groß das Arbeitsfeld für eine Transformationsdesignerin ist, wage ich zu diesem Zeitpunkt kaum zu erfassen.

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