Neue Narrative für Klima- und Umweltschutz

Essay von Lukas Unterholzner, 2021

Warum Umweltinitiativen, Parteien des grünen Spektrums und Aktivist:innen daran scheitern, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen und längst überfällige Umwelt- und Klimamaßnahmen durchzusetzen und weshalb es dafür neue Narrative braucht.

Man möchte meinen, die Dringlichkeit der eingebrachten Forderungen in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz würde einen gewissen Pragmatismus im Diskurs und in der Abstimmung konkreter Maßnahmen herbeiführen, doch das Gegenteil ist der Fall. Lagerkämpfe werden heraufbeschworen, erbittert ausgetragen und keine Partei möchte Zugeständnisse machen. Die eingebrachten Forderungen werden mit Bevormundung und Verbotskultur assoziiert, die Wirtschaft besteht auf Liberalismus und lobt die eigene Innovationskraft. Ein ernsthaftes Bekenntnis zum Klimaschutz und den damit einhergehenden individuellen Einschränkungen sind von kaum einer Seite zu hören, und schon gar nicht im notwendigen Ausmaß. Gegenwärtige Beispiele wie die Schweizer Volksabstimmung zum CO2-Gesetzesvorschlag oder die INSM-Kampagne gegen die Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen Annalena Baerbock lassen eine stark ablehnende Haltung gegen dringend notwendige Maßnahmen erkennen (vgl. Koß 2021). Zudem konzentriert sich der Diskurs oder die mediale Aufmerksamkeit nicht auf geforderte Inhalte, sondern vielmehr auf die Art und Weise wie diese vorgebracht werden bzw. auf persönliche Kritik. Hier sei als aktuelles Beispiel die missglückte Greenpeace Aktion vor dem Fußballeuropameisterschaftsspiel Frankreich-Deutschland genannt, für die die Organisation in den Medien angegriffen und aufs Schärfste verurteilt wird. Der eigentliche Zweck der Aktion, nämlich die Erinnerung an den Umwelt- und Klimaschutz und schlussendlich auch Erhalt unserer eigenen Lebensgrundlage wird in dieser Debatte fast zur Gänze außen vor gelassen.

Bei der Volksabstimmung in der Schweiz wurde das neue CO2-Gesetz durch eine knappe Mehrheit abgelehnt. Die Konservative Schweizer Partei machte, unterstützt durch Automobil-, Transport- und Mineralölverbände, Stimmung gegen das Gesetz. Dieses wurde als missraten, teuer, nutzlos und als Belastung der Wirtschaft abgelehnt. Es sei der “völlig falscher Ansatz” und würde eine Bevormundungspolitik mit neuen Steuern und Abgaben heraufbeschwören. Die Schweizer würden einen echten liberalen Ansatz bevorzugen und auf die Innovationskraft ihrer Universitäten vertrauen, die gemeinsam mit der Wirtschaft Lösungen für die Klima- und Umweltproblematik finden würden. Innovation und Entwicklung seien der Weg für eine fortschrittliche und umweltfreundliche Wirtschaft, nicht Gesetze und staatliche Kontrolle, zudem bestehe eine große Angst vor “Umverteilung und Ablass Handel”. Andere Stimmen in der Schweiz fordern wiederum, dass kluge regulatorische Rahmenbedingungen gesetzt werden sollten, um den Markt in die richtige Richtung zu lenken.

Denn dass dieser die Kraft hätte, innovative Lösungen hervorzubringen, sei unbestritten und diese Lösungen brauche es dringend. Bislang externalisierte Kosten sollen eingepreist werden, was wiederum zu Kostenwahrheiten führen würde und Anreize schaffen soll, klima- und umweltschonender zu produzieren und zu konsumieren. Positive Anreize seien das Ziel, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, nicht neue Strafsteuern. Außerdem soll der Ausbau von erneuerbaren Energieträgern gefördert werden. Suffizienz und Selbstbegrenzung spielen im Diskurs kaum eine Rolle, ebenso dass Lenkungsabgaben auch nur die Anreizfunktion umkehren würden. Diese Einnahmen könnten der Bevölkerung und den Unternehmen zweckgebunden rückerstattet werden und beispielsweise zur Investition in klimawirksame Maßnahmen fließen. Doch selbst diese Abgaben werden zunächst als unnötige zusätzliche Belastung der Wirtschaft gesehen und mindern die kurzfristige Gewinnmaximierung durch Kostenexternalisierung zulasten künftiger Generationen (vgl. Norddeutscher Rundfunk 2021).

Die eigentliche Problematik hinter der Einpreisung externalisierter Kosten ist jedoch der Umstand, dass durch die Kostenwahrheiten und damit deutlich höheren Preise sichtbar wird, dass der aktuelle Lebensstandard für viele unleistbar ist. Die sich immer weiter spreizende Schere zwischen Arm und Reich zeigt sich sehr deutlich. Der vorherrschende Wohlstand basiert auf Kostenexternalisierung. Ohne einhergehende Sozialreform würden die sozial schwächeren Schichten und selbst der Mittelstand massiv an Kaufkraft verlieren und abgehängt werden, was wiederum zu extremen sozialen Spannungen führen würde. Bereicherung Weniger auf Kosten Aller – Auswirkungen spüren wir alle, dafür dass Wenige extrem viel Kapital akkumulieren. Der Trickle-Down-Effekt bleibt aus. Es geht nicht darum, den Geringverdiener ihren Standard zu nehmen, sondern Wohlstand und damit Konsum umzuverteilen. Unsere Weltwirtschaft funktioniert in der Weise nur, weil Wenige auf Kosten Vieler leben (vgl. Felber 2020).

Wenn externalisierte Kosten eingepreist werden, werden besonders Arbeit, Ressourcen und CO₂ intensive Produkte erheblich teurer. Das bedeutet die arbeitenden Bevölkerung muss ausreichend verdienen, um sich einen angemessenen Standard leisten zu können, der gleichzeitig die globale Einhaltung von öko-sozialen Grenzen gewährleistet. Die Steuern auf Arbeit müssten erheblich gesenkt und die auf Ressourcen, insbesondere auf nicht rezyklierte und neugewonnene Rohstoffe, deutlich angehoben werden, Finanzgeschäfte massiv besteuert und Vermögen progressiv abgabenpflichtig werden.

Untere Schichten fühlen sich ihres Lebensstandards beraubt, Mittel- und Oberschicht bevormundet und eingeschränkt, (Einfluss-) Reiche umgehen oder beeinflussen mögliche Einschränkungen bzw. können ob ihrer Privilegiertheit auch höhere Preise für Ressourcen und Umwelt intensive Produkte und Dienstleistungen zahlen. Unweigerlich würden Kostenwahrheiten direkt an die Konsument:innen weitergegeben werden. Die Mittel- und Oberschicht wiederum fühlt sich durch Klimapolitik in ihrer Lebensweise bevormundet und bestehen auf das Anrecht auf Konsum und Freiheit, das durch die eigene Arbeit, die zum Wohlstand geführt hat, oder gar das Geburtsrecht, in einem wohlhabenden Staat geboren zu sein, legitimiert wird. Um von eigener Verantwortung abzulenken, solidarisieren sich Konzerne mit Konsument:innen und Bürger:innen und stoßen in das gemeinsame Horn der Verbotskultur und Bevormundung.

Die Politik scheitert an der Durchsetzung unpopuläre Gesetze gegen etablierte Industrien und Lobbys – die Wiederwahl und die Unterstützung der Konzerne könnte gefährdet sein. Das Argument der vermeintlichen wirtschaftlichen Schwächung soll mangelnde Agilität und Profiteure des alten Systems schützen, die etablierten Industrien des 20. Jahrhunderts mit starken Lobbys. Das Totschlagargument der großen Arbeitgeber:innen, die Politik würde damit Jobs vernichten, setzt jeder Debatte ein jähes Ende. Ein kurzsichtiges Paradoxon, dem nach wie vor allzu viele Glauben schenken. Dabei würde eine Vorreiterrolle im Bereich zukunftsweisender Technologien langfristig Arbeitsplätze schaffen.

Aktuell findet ein regelrechter Missbrauch und eine Anfeuerung von Polarisierungstendenzen statt, um Klimaschutzbefürworter:innen und Gegner:innen gegeneinander auszuspielen. Dabei werden künstlich vermeintliche Lager heraufbeschworen, um von der eigentlichen Verantwortung der Unternehmen abzulenken. Die klimapolitische Debatte befeuert die sozialen Spannungen und führt zu einer massiven Spaltung der Gesellschaft. Dieser Polarisierung gilt es entgegenzuwirken. Durch das kapitalistisch geförderte individualistische Konkurrenzdenken und den damit entstandenen Egoismus schreitet die Fragmentierung der Gesellschaft noch weiter voran. Um den Herausforderungen zu begegnen, braucht es allerdings eine geeinte Gesellschaft, ein gemeinsame Verständnis und Problembewusstsein von globalen und lokalen Herausforderungen. Davon abgeleitet, insbesondere konkrete Handlungsempfehlungen für jede:n einzelne:n Akteur:in.

In der gesamten Debatte ist es außerdem wichtig zu verstehen, dass Klima- und Umweltschutz nicht etwas ist, was wir Menschen fürs Klima, für die “Umwelt” und die Menschen in Zukunft tun, sondern dieser bedeutet bereits heute den Schutz von Millionen von Menschen- und Tierleben. Wir müssen uns als Teil des gesamten sich in gegenseitiger Abhängigkeit befindlichen Ökosystems begreifen, nicht isoliert davon. Umgekehrt bedeutet Nichthandeln aktiven Mord an Mensch und Natur. Das Verständnis, dass nicht wir was fürs Klima tun, sondern für uns, sollte es dem ansonsten so gut im Egoismus geübten Menschen doch leicht machen, nachhaltiger zu leben.

Außerdem erleben wir derzeit längst nicht nur eine ökologische und soziale Krise. Viele sprechen außerdem von einer Sinn-, Arbeits- und Psycho-Krise. Viele Menschen befinden sich in einer hedonistischen Tretmühle getrieben von Geltungskonsum, um in der sozialen Dynamik zumindest die eigene Position abzusichern. Den Menschen fehlt die Antizipationskraft die Auswirkungen der eigenen (Konsum-) Entscheidungen abzuschätzen, kurzfristige Bedürfnisbefriedigung wird langfristigen verbesserten Lebensbedingungen für alle vorgezogen (Diskontieren & Tragik der Allmende). Die Bewältigung der Klimakrise kann auch dafür eine alternative Lösung bereithalten. Die Transformation zu einer nachhaltigen öko-sozialeren Welt bietet enorme Chancen. Ein systemischer Ansatz berücksichtige zudem Nutzen und Kosten des Handelns, aber auch die Auswirkungen des Nichthandelns, etwa des Klimawandels. Akzeptanz für eine ambitionierte Klimapolitik könnte zudem gesteigert werden, wenn diese sichtbar auch andere Herausforderungen wie Teilhabe, gute Arbeit, bezahlbares Wohnen, bedarfsgerechte Ernährung, eine bezahlbare und sichere Energieversorgung und saubere Luft adressieren würde und entsprechende Narrative für Wohlstand und Lebensqualität gestärkt würden. (vgl. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina; Rat für Nachhaltige Entwicklung, S. 28, 2021) Die Menschen müssten weniger arbeiten und hätten mehr Zeit für Familie, Freunde und Muse. Konsum könnte entmaterialisiert werden. Suffizienz und Selbstbegrenzung in der materiellen Dimension würden umgekehrt einen soziokultureller Gewinn erzeugen und eine bessere Lebens- und Umweltqualität für alle. Nicht Verbot oder Verzicht sollten kommuniziert werden, sondern Chancen auf höhere Lebensqualität durch entmaterialisierten Konsum, bzw. gänzlich konsum-freie Lebensinhalte, erfüllende gemeinschaftliche Resonanzerfahrungen statt stumpfe kurzfristige individuelle Bedürfnisbefriedigung und Geltungskonsum. Menschen fühlen sich zunehmend von sich selbst und ihrer Umwelt entfremdet, verlieren den Bezug zueinander und zu ihrer Lebensgrundlage, der Natur, als deren Teil sich der Mensch begreifen sollte (vgl. Rosa, 2019). Matthias Horx bezeichnet den Wandel in eine post-fossile Kultur nicht als Verzicht, sondern als Chance auf allgemeine Verbesserungen und höhere Lebensqualität, als Befreiung von selbstverletzendem Verhalten.

Die vorherrschende Meinung, Klimaschutz sei optional und kaum bezahlbar ist eine der größten Trugschlüsse überhaupt. Nichthandeln und Sparpolitik in Bezug auf Umwelt und Klima kostet bereits jetzt mehr, als sinnvolle Investitionen. Die, durch menschengemachte Umwelt- und Klimaveränderungen, verursachten Schäden in ökonomischer, ökologischer und gesundheitlicher Dimension sind lediglich nicht so einfach unmittelbar zurechenbar. Umweltkosten sind ökonomisch höchst relevant. Das zeigte bereits der sogenannte „Stern Report“ im Jahr 2006, der die allein durch den ⁠Klimawandel⁠entstehenden Kosten auf jährlich bis zu 20 % des globalen Bruttoinlandsprodukts bezifferte. Auch auf Deutschland bezogene Schätzungen zeigen die ökonomische Bedeutung der Umweltkosten. So haben allein die deutschen ⁠Treibhausgas⁠-Emissionen im Jahr 2016 Umweltkosten in Höhe von 164 Milliarden Euro verursacht (vgl. Umweltbundesamt, 2019).

Schlussendlich muss der gesellschaftliche Druck auf die Politik massiv erhöht werden. Die wirtschaftliche Gemeinwohlorientierung soll eingefordert werden (vgl. Felber 2020) und das Finanzsystem reformiert werden. Die öko-soziale Transformation muss als Chance auf ein besseres Leben für alle kommuniziert werden.

Quellen:

Felber, Christian (2020): Gemeinwohl-Ökonomie: Komplett aktualisierte und erweiterte Ausgabe, 5. Aufl., München, Deutschland: Piper.

Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen (2019): Umweltbundesamt, https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/gesellschaftliche-kosten-von-umweltbelastungen#gesamtwirtschaftliche-bedeutung-der-umweltkosten

Koß, Michael (2021): INSM-Kampagne gegen Annalena Baerbock, ZEIT ONLINE, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-06/insm-annalena-baerbock-kampagne-antisemitismus-frauen/komplettansicht

Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina; Rat für Nachhaltige Entwicklung (2021): Klimaneutralität: Optionen für eine ambitionierte Weichenstellung und Umsetzung, Positionspapier.

Norddeutscher Rundfunk (2021): Volksabstimmung in der Schweiz: Knappe Mehrheit lehnt CO2-Gesetz ab, tagesschau.de, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/schweiz-abstimmung-co2-preis-101.html

Rosa, Hartmut (2019): Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung, München, Deutschland: Suhrkamp Verlag AG.

Comments (2)

  1. Gute Ideen, aber mir fehlt die konkrete Handlungsempfehlung zur Veränderung der Narrative. Oder habe ich etwas überlesen – hab natürlich selbst keine abschließende Lösung und würd gern andere Perspektiven hören.
    Welche Maßnahmen könnten denn zu diesem Wandel führen – wo findet sich der tipping point? Bin gespannt, Sarah

    • Lukas (Autor)

      Hey Sarah,
      vielen Dank für deinen Kommentar und die berechtigte Nachforderung der Handlungsansätze. Nachfolgend ein Versuch – ich würde mir nicht anmaßen, jetzt DIE Lösung zu präsentieren. Ich denke, die Schwierigkeit besteht darin, gemeinsame Narrative, Utopien und Visionen zu finden. Dafür braucht es Diskurse, dafür braucht es Öffentlichkeit, Räume zur Begegnung, Randomität, um diese zu verhandeln. Dafür braucht es unendlich viele respektvolle Gespräche auf Augenhöhe. Wir müssen zuhören, wir müssen einfühlsam sein, wir müssen verstehen. Wir müssen aber auch eine Ambiguitätstoleranz entwickeln. Lebensrealitäten und Wertvorstellungen sind verschieden, Menschen und Sachverhalte ambivalent und komplex.
      Das Wissen um viele Problematiken wächst laufend und damit auch der Handlungsdruck. Lösungsansätze, Nischenentwicklungen, kleine Realutopien sind vorhanden. Es gilt, diese sichtbar zu machen und in kleinen Schritten das vorherrschende System zu ersetzen. Die wunderbare Eigenschaft gemeinsamer Narrative ist ihre potenziell einende Wirkung, die Verständigung auf eine Schnittmenge. In meiner – bestimmt idealisierten – Vorstellung entfaltet konsequentes, kollektives Handeln nach gemeinsamen Narrativen große Wirkmacht. Ohnmachtsgefühle werden am ehesten bekämpft, indem mensch sich sehr enge Kontexte setzt, sei es in einer lokalen Organisation, dem sozialen Umfeld, aber auch im beruflichen Tätigkeitsfeld, in der politischen Arbeit/im Aktivismus. Die (Wieder-) Einbettung in ein Umfeld von Menschen, die ähnliche Themen umtreiben, kann sehr ermutigend sein und unsere transformative literacy stärken. Ich denke, es gibt unendlich viele verschiedene Interventionspunkte. Wir müssen nur vom Wollen ins Tun kommen. Was denkst du?

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