Kontrolle und Körperwissen bei Femtech im Spannungsfeld überwachungskapitalistischer Biopolitik und feministischer Wissensbildung

von Juli Brunner

Einleitung

Diese Arbeit entstand aus einem persönlichen Unwohlsein mit dem Thema Zyklusbeobachtung. In einem Projekt dazu setzte ich mich in den letzten zwei Jahren mit den impliziten Vorstellungen von Reproduktion, „Weiblichkeit“ und Gesundheit in Publikationen auseinander und schrieb eine eigene kleine Publikation zur Beobachtung des Zyklus unter Berücksichtigung von Lebensrealitäten jenseits einer heterosexuellen Norm mit Illustrationen, die nicht ausschließlich weiße1, schlanke cis-Körper zeigen. Ich war irritiert von der Rhetorik und der Bildsprache in populäreren Büchern mit Titeln wie „Natürlich und Sicher“ (Malteser Werke 2021) und Apps mit Werbeslogans über das Empowerment der Anwender*innen durch die Nutzung. Welche Vorstellungen von Natürlichkeit liegen dem Zugrunde und welches Verständnis von Sicherheit und für wen? Wer soll hier durch Zyklusbeobachtung empowert werden– und wie politisch sind Theorie und Praxis eines solchen Empowerments zu verstehen? Ist die Popularität von Blogs, Literatur und Apps zu Menstruation (und ihrer Enttabuisierung) nicht ein Zeichen neoliberaler Körperpolitik, die sich auf das individuelle körperliche Erfahren beschränkt? Mein Unwohlsein über diese Form von Pop- oder Comfort-Feminismus bezieht sich auch auf meine eigene Publikation und stellte mich vor die Herausforderung, ob und wenn ja wie sich intersektionale politische Kämpfe mit Körperpolitik auf einer individuellen Ebene verbinden lassen. 

In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus meiner Beobachtungen auf so genannter Femtech. Der Begriff umfasst elektronische Geräte, Software oder andere Technologien, die sich auf ‚weibliche‘ Gesundheit beziehen, allen voran Software, die Informationen über Zyklus und Fruchtbarkeit sammelt und geht zurück auf die Gründerin einer der beliebtesten Menstruations-, bzw. Zyklus-Tracking-Apps, Ida Tin. Diese Anwendungen erfahren seit einigen Jahren einen großen Zuspruch und haben insgesamt einen Marktwert von mehreren Milliarden Euro und Cambridge Dictionary 2023). 

Ich möchte der Frage nachgehen, ob ein Fokus auf das individuelle körperliche Empfinden und Erleben in Technologien zu Zyklusbeobachtung eine Form neoliberaler Regierbarkeit darstellt, oder ob sich in solchen Formen von Körperwissen eine Wiederaneignung von feministischen Wissensformen jenseits eines Rationalismus sehen lässt. Wo lassen sich die Linien ziehen zwischen Kämpfen zu feministischer Wissensproduktion und Definitionsmacht über den eigenen Körper – und der Entpolitisierung von Körperwissen durch Individualisierung? Tragen technikbasierte Formen von Körperverständnis wie Femtech zu feministischem Empowerment bei oder sind sie Teil eines neoliberalen Körperdiskurses, der Begriffe wie Empowerment aneignet und entleert? 

Hierfür gebe ich zunächst einen kurzen Einblick in feministische Körperpolitik des 20. Jahrhunderts, vor allem in Bezug auf die zweite Frauenbewegung und das Autonomie-Dispositiv, welches mit feministischen Kämpfen um das Selbstbestimmungsgesetz einherging. Dieses setze ich in Verbindung zur Empowerment-Rhetorik bei Femtech und einer kritischen Analyse der Konstruktion von Körpern darin. Schwarze Feministinnen wie Patricia Hill Collins und bell hooks zeigen ein davon stark abweichendes Verständnis von Empowerment auf. Sie verweisen auf intersektionale Unterdrückungsmechanismen und ihre Wechselwirkungen und rücken eine Wissensbildung ins Zentrum, die diese berücksichtigt. 

Anschließend möchte ich auf kybernetische Biopolitik im Überwachungskapitalismus eingehen und aufzeigen, wie die Rhetorik der Kontrolle über den eigenen Körper mit Techniken zur Selbst-Überwachung und -Optimierung im Zusammenhang steht und insbesondere die Überwachung von FLINTA2 , beziehungsweise von Menschen mit Uterus in diesem Zusammenhang thematisieren. 

Schließlich möchte ich, ausgehend von neu-materialistischen Theorien und eines widerständigen feministischen Workshops aus Südamerika skizzieren, wie sich Zyklusbeobachtung als eine Körperpolitik denken und praktizieren ließe, die Zusammenhänge von Mensch, Natur und Technik, sowie weitere Diskriminierungsformen neben sex und Gender berücksichtigt. 


1 Schwarz schreibe ich unter Bezug auf deutsche Anti-Rassismus-Diskurse mit großem Anfangsbuchstaben, da sich die Bezeichnung nicht auf Hautfarbe, geschweige denn biologische Tatsachen bezieht, sondern eine Selbstbezeichnung von Rassismus betroffener ist. Die Großschreibung von Schwarz soll dabei auch auf die Konstruktion von Race aufmerksam machen, während weiß in Kursivschrift markieren soll, dass nicht von Rassismus Betroffene in rassistischen und mehrheitlich weißen Gesellschaften eine privilegierte Position innehaben, wenngleich diese meist unsichtbar gemacht wird.

2 Abkürzung für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und agender Menschen. Ich verwende diesen Begriff mit einem Verständnis von Gender als sich diskursiv reproduzierende Kategorie, wobei hier ein Teil des Spektrums von Zugehörigkeiten jenseits einer cis-männlichen Norm benannt wird. Sofern es in diesem Text um das biologische Geschlecht (sex) geht, schreibe ich von menstruierenden Menschen/Menschen mit Uterus, wenngleich mir bewusst ist, dass diese Beschreibung selbst nur einen Bruchteil vieler biologischer Geschlechter beschreibt.

Körperwissen und Selbstermächtigung in feministischen Kontexten

Mein Bauch ‚gehört‘ mir – Zweite Frauenbewegung und folgende Körperpolitik

Nicht erst mit Simone de Beauvoirs berühmter Aussage „On n’est pas née femme, on le devient“ (man wird nicht als Frau geboren, man wird es) widmen sich feministische Bewegungen der Entnaturalisierung von „Weiblichkeit“3 : Den Widersprüchlichkeiten eines Ablehnens biologischer Determination einerseits und andererseits der Suche nach neuen und alten Formen körperlicher Realitäten und Wissensformen jenseits einer cis-männlichen Norm. Die zweite Frauenbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellte radikal Geschlechterdispositive im Sinne einer Festschreibung weiblicher Körper auf ihre somatische Gebundenheit in Frage und rückte die Bestimmung über den eigenen Körper ins Zentrum ihrer politischen Praxis (vgl. Villa 2013: 60f.).
Im Zuge der Aufklärung 200-300 Jahre zuvor wurde die religiöse Begründung für die strukturelle Unterdrückung anhand des Geschlechts abgelöst durch eine rationalisierte Wissensproduktion im Sinne einer humanistischen Wissenschaftsargumentation für die biologische Unterscheidung und Diskriminierung und so wird die „Geschlechterdifferenz (…) ab dem späten 18. Jahrhundert als objektive, natürliche, ahistorische, unveränderliche und unausweichliche somatische Differenz kodiert“ (ebd. 2013: 61). Die zweite Frauenbewegung forderte diesen Natürlichkeitsdiskurs heraus und die damit einhergehenden Vorstellungen von weiblicher Unterlegenheit aufgrund der nun biologistisch-„wissenschaftlich“ belegten Gebundenheit an einen als unfrei markierten Körper. Eine Abgrenzung von heteronomem, patriarchalem Expertenwissen lässt sich in den Slogans zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wie „My body my choice“ oder „Mein Bauch gehört mir“ sehen. Paula-Irene Villa zeigt auf, wie eng die Vorstellung weiblicher Subjekt-Autonomie so verknüpft wurde mit körperlicher Selbstbestimmung und in der Folge sich der Körper als Ressource politischer Praxis etablierte:

„Denn praxeologisch-politische wie akademische Entnaturalisierungen konvergieren im Dispositiv der Autonomie und intensivieren dies durch die Umkehrung der Kausalität zwischen Körper und Selbst: Das (mündige, befreite, reflexive) Selbst soll bestimmen, welchen Körper es hat (besser: haben kann, darf, soll)“ (ebd.: 64).

Villa bezieht dieses Autonomie-Dispositiv in ihrem Aufsatz auf die Zunahme von schönheitschirurgischen Eingriffen und deren Framing als empowernde Praxis der (wieder-)Aneignung des eigenen Körpers. In der Folge wird der Körper als Ort einer individuellen Ressource konstituiert, auf die mensch zurückgreifen kann und die es in neoliberalen Gesellschaften gilt zu optimieren. Dieser Fokus auf die Kontrolle des eigenen Körpers lässt sich zwar problematisieren hinsichtlich der normativen Reproduktion von Gender, Race, Klasse und einigem mehr und findet sich in vielen Formen der Auseinandersetzung mit dem (individuellen) Körper4 . In einer von Brüchen und Krisen geprägten Zeit lässt sich darin jedoch auch das Schaffen einer Handlungssicherheit sehen (vgl. ebd.).
Ich möchte neoliberale somatische Individualisierungsprozesse keineswegs linear auf die feministischen Kämpfe um Selbstbestimmung des eigenen Körpers, wie etwa das Recht auf Abtreibung, zurückführen. (Feministische) Kämpfe um körperliche Selbstbestimmung waren und sind nach wie vor Kämpfe, die direkt an Machstrukturen rütteln und nicht selten Kämpfe um das Überleben selbst. In einem Abschnitt zur Überwachung bezogen auf restriktive Abtreibungsgesetzgebungen nach dem Fall von Roe v. Wade in den USA im Juni 2022, möchte ich genauer auf die Misogynie der digitalen Überwachung in diesem Kontext sowie auf die unmittelbare Gefahr eingehen, die davon für Menschen ausgeht, die schwanger werden können.
Die Literaturhistorikerin und feministische Theoretikerin bell hooks zeigt in ihrem Buch Feminism is for Everybody auf, wie verengend zudem der Fokus auf das Recht auf Abtreibung der zweiten Frauenbewegung war. hooks macht darin einen rassistisch-klassistischen Bias aus, da der Fokus der feministischen Körperpolitik auf Abtreibung nur einen Teil reproduktiver Rechte ausmacht – allerdings den Teil, von dem sich privilegierte weiße Frauen am meisten angesprochen fühlten. Wenn der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen dadurch erschwert wird, dass die medizinische Behandlung nicht durch Krankenkassen übernommen wird – oder Menschen nicht krankenversichert sind – ist dies für marginalisierte Menschen eine weitaus größere Gefahr als für wohlhabende, weiße Frauen. Menschen jenseits der Menopause, lesbische und queere Menschen betrifft das Thema weniger oder auf einer anderen Ebene. Das bedeutet nicht, dass legale, sichere und erschwingliche Schwangerschaftsabbrüche nicht zentral für feministische Körperpolitik bleiben. Sie müssen jedoch eingebettet werden in Kämpfe um sexuelle Bildung, Gesundheitsvorsorge und Zugang zu Verhütungsmethoden (vgl. hooks 2000: 26–28).


3 Insbesondere Bezüge auf bewegungspolitische Postulate der zweiten feministischen Welle stellen mich vor Herausforderungen in Anbetracht ihrer Eingrenzung auf Frauen als Subjekte ihres Kampfes und der meist impliziten Reduktion auf weiße cis-Realitäten. Sofern ich Diskurse dieser Bewegungen nachzeichne, verwende ich „Frau“ und „weiblich“ in diesem Sinne.

4 Ich würde neben den in dieser Arbeit thematisierten Tracking-Apps beispielhaft für die Handlungssicherheit über den Körper in prekären Zeiten beispielsweise den Trend des Tätowierens ausmachen.

Körperliche Wissensaneignung als individuelle Praxis bei Femtech

Ein ähnliches Dispositiv wie das der Autonomie findet sich sowohl in der Bewerbung von Zyklus-Tracking-Apps als auch in Untersuchungen zu den Beweggründen von Menschen, die ihren Zyklus mittels einer App untersuchen. Auffällig ist, dass einige Apps mit dem Stichwort „Empowerment“ beworben werden, etwa die App Menstruation Calendar Lite GP mit dem Slogan: „Empowering millions with simple tools to improve their health and lifestyle“ (zitiert nach Hendl / Jansky 2022: 38).
In einer situativ-qualitativen Forschung von Hannah Rotthaus stellt die Autorin fest, dass die Begründungen einiger der Interviewpartnerinnen für ihre Hinwendung zu einer Zyklus-App als Verhütungsmethode einem Narrativ der Befreiung von der Antibabypille folgen: Die von ihr interviewten Personen beschreiben sich retrospektiv während der Zeit, in der sie die Pille nahmen, als fremdbestimmt und beschreiben das Absetzen der hormonellen Verhütungsmethode5 als Einschnitt in ihrer Biographie hin zu einem selbstbestimmter wahrgenommenen Lebensstil und Körpergefühl. Es zeigt sich hier eine bemerkenswerte Diskursverschiebung bezüglich der Antibabypille: Wurde ihre Einnahme ab den 1960er Jahren doch noch gerade mit Autonomie verknüpft und als Befreiung von der Angst, ungewollt schwanger zu werden, verstanden (vgl. Rotthaus 2020: 22–29). Insbesondere in solch gängigen biologistischen Erzählungen über die linearen Zusammenhänge von Hormonen, Körpersymptomen und Verhalten in datenbasierten Anwendungen zur Beobachtung des Zyklus – und den in dieser Untersuchung durch die Nutzerinnen selbstwiederholt sich eine biologistisch-sexistische Vorstellung der Determination ‚weiblicher‘ Körper. Obwohl biologische und medizinische Forschung längst auf die komplexen

„Zusammenhänge zwischen biologischen, sozialen, individuellen Erfahrungen und auch machtvollen gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen, intersektionalen Machtverhältnissen und kulturellen Normen, also die Symbolik der Zuschreibungen“ (Enzenhofer / Schmitz 2020)

verweist, reproduzieren Anwendungen, Magazine, Bücher und gynäkologische Broschüren nicht selten repressive Vorstellungen von „Weiblichkeit“.
Die Interviewpartnerinnen beschreiben nach Rotthaus wiederum die Auseinandersetzung mit dem eigenen Zyklus mittels einer App als aneignende Praktik hin zu einem Expertinnenwissen des eigenen Körpers, nachdem sie sich im Rückblick sowohl hormonell als auch durch Erfahrungen mit Gynäkologinnen als entfremdet von ihrem Selbst beschrieben. Gleichzeitig wird diese Aneignung des Wissens über den eigenen Körper, als auch des Körpers selbst, mit vergeschlechtlichten Vorstellungen der eigenen Identität als Frau verknüpft (vgl. ebd.: 29–39). Dieses Wissen über das Selbst machen Tereza Hendl und Bianca Jansky in einer kritischen Analyse der populärsten Zyklus-Tracking-Apps als erste von drei wesentlichen Behauptungen bezüglich des „Empowerment“-Dispositivs dieser Apps aus: Selbst-Wissen, Selbst-Management durch Kontrolle über den eigenen Körper und Aneignung der eigenen reproduktiven Gesundheit durch Selbst-Optimierung. Ermächtigung durch Selbst-Wissen wird in der Bewerbung und Inszenierung dieser Apps so dargestellt, dass das Wissen über den eigenen Körper nur mithilfe dieser Anwendungen erlangt werden kann. Konsequenterweise wird das Wissen der Nutzerinnen so als minderwertig gegenüber dem wissenschaftlichen, weil datenbasierten Expertinnenwissen der App dargestellt, jedoch mit einem Dispositiv der Selbstermächtigung verbunden6 . Das Verständnis über Körper mit Uterus wird zudem, bis auf eine Ausnahme, als vergeschlechtlichtes Wissen generiert und eng mit biologistisch-essentialistischer „Weiblichkeit“ und „Frausein“ verknüpft (vgl. Hendl / Jansky 2022: 33–35). Die Autorinnen argumentieren, dass dieses Verständnis von Empowerment Elemente biomedizinischer körperlicher Entfremdung beinhaltet, sowie ein biologistisch-deterministisches Verständnis des Selbst, Selbstentfremdung durch epistemische Ungerechtigkeit und eine Erzählung über die Befreiung von Frauen durch Femtech-Paternalismus (vgl. ebd.: 41).
Die Anbieter der Apps betten die Erfahrungswerte der Nutzerinnen zudem in eine Erzählung über (Selbst-)Ermächtigung durch die Kontrolle des eigenen Körpers ein. Dies wird eng verknüpft mit heteronormativen und biologistischen, bisweilen auch sexistischen Annahmen zur Sexualität der Anwenderinnen. So zeigten App-Anbieter in der Bewerbung auf Social Media stereotype Darstellungen von Frauen, die in prä-menstruellen Phasen körperlichem Verlangen nach Süßigkeiten erliegen oder einen Comic-Strips, in dem eine Frau Sex mit ihrem Partner nicht genießt, weil sie sich in einer bestimmten Zyklusphase gegen Gleitgel entschieden hat (vgl. ebd.: 35–37). Die Kontrolle über den so scheinbar unkontrollierten, natürlichen, gebundenen Körper gilt es mittels der Selbstbeobachtung nicht nur zu analysieren, sondern – etwa in Verbindung mit Fitness-Tracking-Apps – zu managen und optimieren.
Die reproduktive Gesundheit ist in der Logik der Anbieter denn auch der dritte Schlüssel zum angepriesenen Empowerment. Primär wird dies als Prozess der Beherrschung dargestellt: Eine Beherrschung des eigenen Zyklus und reproduktiver Entscheidungen durch wissenschaftliche Daten, die mittels der Apps erworben werden (vgl. ebd.: 35–39).
Ermächtigung/Empowerment wird so als Ergebnis von App-generierter Wissensproduktion konstruiert. Das Selbst-Wissen wiederum befähigt Nutzerinnen dazu, ihren Körper zu verstehen und zu kontrollieren und Eigentümerin der eigenen reproduktiven Gesundheit zu werden. Dieses Verständnis von Empowerment durch berechenbare numerische Datengenerierung wird als Prozess dargestellt, mit dem verschiedene Aspekte eines als weiblich erzählten Lebens in die eigenen Hände genommen, kontrolliert, besessen und optimiert werden können: Gesundheit, Fitness, Menstruation, Eisprung, Fruchtbarkeit, Sexleben, Verhütung, Entscheidungen und letztlich das Leben als Ganzes (vgl. ebd.: 39f.).
Autonomie basiert hier auf der Vorstellung individueller Kontrolle und Besitzhaftigkeit des eigenen Körpers und kontrastiert mit (neu-)materialistisch-feministischen Perspektiven. Silvia Federici etwa versteht Autonomie als soziale/kollektive Kapazität für Selbstaktivität, Selbstbewegung und Unabhängigkeit von externer Macht und nicht eine individuelle Autarkie und Isolation von anderen (vgl. Federici 2015: 205).


5 Die Interviews der Autorin fokussierten sich auf den Aspekt der Schwangerschaftsverhütung, dementsprechend finden sich hier weniger Angaben zur Wahrnehmung über die Verwendung der 4 Pille oder Zyklus-Apps unter anderen Vorzeichen.

6 In Rotthaus Untersuchung nahmen die Nutzer*innen den Wissenserwerb als selbstbestimmt wahr (vgl. Rotthaus 2020: 36).

Empowerment in Schwarzer feministischer Körperpolitik

Ein sehr viel tiefgreifenderes Verständnis davon, was Empowerment bedeutet, findet sich in Schwarzer feministischer Literatur. Patricia Hill Collins schreibt in ihrem Buch Black Feminist Thought darüber, wie wichtig Schwarze feministische Wissensproduktion für Ermächtigung und Handlungsfähigkeit ist. Afrozentriertes Denken richtet sich nach Hill Collins aus auf ein Darstellen Schwarzer Frauen als sich selbst-definierende, selbstständige Individuen, die Unterdrückungsformen nach Gender, Race oder Klasse entgegentreten. Wissen ist für das Empowerment unterdrückter Menschen von umfassender Bedeutung. Die Unterordnung Schwarzer Frauen wird durch die Logik eines weißen, eurozentristischen Rationalismus gefördert und durch eine Objektifizierung ihre Erfahrungen einer männlichen, weißen Elite nutzbar gemacht. Das Verrücken der Perspektive Schwarzer Frauen, weg von den Rändern ins Zentrum der Analysen, erlaubt auch einen Einblick in die Struktur der hegemonialen Wissensproduktion7 . Hill Collins plädiert für eine intersektionale8 Perspektive, weg von einer dualistischen entweder/oder Einteilungen hin zu sowohl/als auch Sichtweisen, welche die Gleichzeitigkeit verschiedener Unterdrückungsformen anerkennt und ihre Wechselwirkungen betrachtet. Sie spricht sich aus für eine humanistische Vision von Gemeinschaft, die empowerndes Schwarzes feministisches Wissen fördert (vgl. Hill Collins 1991: 221 f.). Empowerment ist hier eng verknüpft mit Wissen, Bewusstsein und Politik:

„Offering subordinate groups new knowledge about their own experiences can be empowering. But revealing new ways of knowing that allow subordinate groups to define their own reality has far greater implications“ (ebd.: 222).

Hier ist ein wesentlicher Unterschied auszumachen, was Selbst-Wissen bedeutet bezüglich empowernder Praktiken: Die Unterwerfung Schwarzen Widerstandswissens, deren Wiederaneignung Hill Collins im Blick hat, ist verwoben mit der Jahrhunderte andauernden Geschichte kolonialer Verbrechen und der damit verbundenen Kontrolle Schwarzen Denkens.
Empowerment durch Wissen über das Selbst ist hier kein individuelles Erfahren, geschweige denn eine Kontrolle des eigenen Körpers, sondern eingebunden in widerständige Praktiken, die objektivierende, dehumanisierende Wissensformen ablehnen. Es bedeutet ein Verständnis und ein Anwenden der Wissensdimensionen auf individueller, gruppenspezifischer und struktureller Ebene zu gewinnen, die die eigene Menschlichkeit und das Dasein als volles menschliches Subjekt fördern (vgl. ebd.: 222–230).
Das Schwarze feministische Denken, das Hill Collins im Blick hat, fördert also erstens einen fundamentalen Paradigmenwandel darin, wie über Unterdrückung gedacht wird. Zweitens ist für sie von fundamentaler Bedeutung eine Auseinandersetzung mit epistemologischen Debatten in feministischer Theorie und Soziologie bezüglich dem, was als „Wahrheit“ gilt (vgl. ebd.: 222).
Dies stellt sowohl die angebliche Natürlichkeit der Nuklearfamilie eines verheirateten heterosexuellen Paars infrage als auch Definitionen darüber, was Gemeinschaft bedeutet. Schwarze feministische Praktiken9 beinhalten daher eine Vielzahl möglicher Formen von Familie und Gemeinschaft. Communities sind Teil von Kämpfen um das Überleben von Gruppen in einer hegemonial weißen Gesellschaftsstrukturierung. Afroamerikanische Frauen haben solche empowernden Gemeinschaften geschaffen, ohne einen Zugang zu haben, um wissenschaftlich-theoretische Hintergründe über alternative Lebensgemeinschaften zu generieren. Kollektiv gestärkte Gemeinschaften sind die Orte des Empowerments, das Hill Collins ausmacht, Orte, die Schwarzen Frauen eine Quelle der Unterstützung sein können, wenn sie Diskriminierungen erfahren (vgl. ebd.: 223 f.).


7 Vgl. hierzu auch hooks (1984).

8 Vgl. hierzu auch Crenshaw (1989), Combahee River Collective (1986) und Truth (1851).

9 Hill Collins bezieht sich hier vor allem auf afroamerikanische Perspektiven.

Überwachungskapitalistische Biopolitik und Femtech

Feministische Bewegungen – sowohl die zweite Frauenbewegung als auch Schwarze intersektionale Perspektiven oder technofeministische Praktiken – können in ihrem politischen Agieren als Akteurinnen im Sinne einer Biomacht verstanden werden (vgl. Folkers / Rödel 2015). Diese beinhaltet nach Michel Foucault ein Machtverständnis, das sich auf Menschen als Lebewesen ausrichtet und diese, etwa durch gesundheitspolitische Maßnahmen, diszipliniert. Die Formen der Regierung von Subjekten funktionieren in biopolitischen Maßnahmen nicht primär durch Strafen, sondern über spezifische Förderungen des Lebens – sowohl auf individueller Ebene als auch bezogen auf die Bevölkerung (vgl. Foucault 1977: 170f.) Gilles Deleuze beobachtete unter Bezug auf die Schriften Foucaults bereits in den 1990er Jahren einen „Regimewechsel“ verschiedener Dispositive als Teil einer neuen Herrschaftsform. Dabei wird etwa das biopolitische Regime des Krankenhauses zu einem Ort ohne Ärztinnen oder Kranke. Es werden die „individuellen oder numerischen Körper durch die Chiffre eines ‚dividuellen‘ Kontroll-Materials ersetzt“ (Deleuze 2016: 351). Subjekte und ihre Körper – seien es Bürgerinnen, App-Nutzerinnen oder Studierende – werden so aufteilbar in binär codierbare Einheiten, die sich flexibel kontrollieren und anpassen lassen. Das Individuum ist keine abgeschlossene Einheit, sondern dynamisch anpassbar (vgl. Maschewski / Nosthoff 2022: 431).
Körper, Verhalten, Räume – Informationen zu allen Aspekten (menschlichen und nicht-menschlichen) Lebens werden im Zuge der Datafizierung der letzten Jahrzehnte umgewandelt zu Daten, die bis vor wenigen Jahren noch aufwändig zu erstellen waren und inzwischen unsichtbar und automatisiert aufgezeichnet werden. Die Rückschlüsse, die in der Verarbeitung aus diesen Daten gezogen werden, sind einerseits hoch präzise und können Subjekte oft gründlicher analysieren als sie selbst. Gleichzeitig fördern Berechnungen Vorhersagen nach genau den Mustern, mit denen sie gespeist werden – und reproduzieren und generieren Aussagen nach ebenjenen normativen Strukturen, in und mit denen sie entstehen (vgl. Frederike Kaltheuner in Future Histories Podcast 2021).
Felix Maschewski und Anna-Verena Nosthoff schreiben über jene Verbindungen der zunehmenden Datenerhebung und biopolitischen Mechanismen im Überwachungskapitalismus nach Shoshanna Zuboff als „überwachungskapitalistische Biopolitik“. Diese

„bestimmt sich dabei als ein Set kybernetischer Kontroll- und kapitalistischer Marktmechanismen, das durch datafizierte Regulierungsmaßnahmen der Körper, d. h. durch die feedbacklogische Mediation korrelierter, biometrischer Idealwerte, beständig neue Anpassungsdynamiken der Individuen ermöglicht und erfordert“ (2022: 431).

Kybernetischer Kapitalismus im Self-Tracking

Das Beobachten und Auswerten des eigenen Verhaltens durch Tracking-Apps ist selbstverständlich nur eine Form technologischer Selbst-Überwachung neben vielen. Das Überprüfen körperlichen Verhaltens wie der eigenen sportlichen Leistungsfähigkeit, etwa durch populäre Fitness-Apps – oft in Verbindung mit so genannten Wearables wie Smartwatches – zeichnet sich durch die Art und Menge der Datenerfassung und ihre für Nutzerinnen unsichtbare Verarbeitung aus. Technologien der Selbst-Überwachung können jedoch auch einfache Statistiken über den eigenen Körper auf Papier sein. Tracking-Apps entsprechen in der Art, wie sie zur Anwendung gedacht sind, Selbsttechnologien im Sinne Foucaults. Es wäre jedoch verkürzt anzunehmen, dass nicht auch analoge Formen der Selbst-Überwachung Selbsttechnologien sein können. In der Nutzung dieser Anwendungen manifestieren sich Formen der Kontrolle, Transformation und Optimierung des Selbst. Simon Schaupp analysiert in einem Aufsatz „Self-Tracking als Selbsttechnologie des kybernetischen Kapitalismus“ (Schaupp 2016). Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl Kontrolle als auch Kapitalakkumulation und Informationsverarbeitung sich in der gegenwärtigen kapitalistischen Herrschaftsstruktur vereinigen. Die zugrundeliegende Logik kybernetischer Systeme im Sinne Norbert Wieners ist das Verständnis von Systemen als dynamische, maschinengleiche, komplexe Organismen, die nie vollständig zu erfassen und zu kontrollieren sind. Gleichzeitig sollen diese Systeme so gesteuert werden, dass ihre scheinbar arbiträre Entwicklung sich im Sinne eines Steuerungsziels selbst anpasst und optimiert. Ohne die inneren Abläufe eines komplexen Systems vollständig zu verstehen, soll sein Verhalten verändert werden, indem ein Mechanismus zur Steuerung etabliert wird. Dieser speist sich aus dem Sammeln von Daten über das System, der Verarbeitung und Klassifikation dieser Daten und schließlich ihrer Rückführung in das System. Mit diesen Schritten sollen an sich unüberwachbare, weil nicht determinierte Systeme kontrolliert optimiert werden (vgl. ebd.: 63–67). Die Prinzipien der kybernetischen Kontrolle nach Schaupp sind Selbst-Überwachung, Quantifizierung, Rückkopplung und Selbstoptimierung. Die Selbst-Überwachung und Quantifizierung geschieht in der bereits genannten Wissensaneignung durch Überwachung des eigenen Körpers, die in femtech Verbunden ist mit der Dateneingabe in das Smartphone. Die Algorithmen der jeweiligen Anbieter bewirken einerseits eine Rückkopplung mit den Geräten der Nutzerinnen und andererseits eine für Nutzerinnen unsichtbaren Weiterverarbeitung, mit der die Daten ausgewertet werden hinsichtlich der jeweiligen Parameter der Apps (meist Vorhersagen über Eisprung und Menstruation, häufig auch Aussagen über mögliche Stimmungen bis hin zu Annahmen über die Sexualität der Anwenderinnen) und die wiederum neue Berechnungen durch Datenakkumulation zulassen.
Schließlich sind die Nutzerinnen aufgefordert, sich selbst und ihren Körper zu kontrollieren und zu managen, mittels der konsequenten Dateneingabe und spezifischem Verhalten, je nach Phase des Zyklus, um sowohl sich selbst als auch die (für sie unsichtbaren) Berechnungen zu optimieren. Die Nutzerinnen und ihre Körper werden zu einem informationsverarbeitenden System, das sich selbst performativ steuert und normiert (vgl. Schaupp 2016: 67–79).

Misogynie der Überwachung

Die bereits beschriebene Empowerment-Rhetorik der Femtech-Anbieter kontrastiert mit der Überwachung der Nutzerinnen und der dem Verkauf ihrer Daten im Sinne einer kybernetischen, überwachenden Biopolitik. Die gesammelten Daten umfassen meist Geburtsdatum, Name, E-Mailadresse und häufig den Standort, aber auch intimste Informationen zu Stimmungen, Gefühlen, Gender, sexueller Orientierung, und sexuellen Vorlieben, sowie den körperlichen Merkmalen des Zyklus wie Zervixschleim und Basaltemperatur. Eine Studie über 10 beliebte Apps, unter denen auch solche zur Zyklusbeobachtung waren, stellte fest, dass diese Daten an mindestens 135 Firmen verkauft wurden, darunter Amazon und Facebook, sowie kleinere Firmen der Werbeindustrie (vgl. Gilman 2021: 103). Sie nennen es Empowerment. Wir nennen es unbezahlte Arbeit. Die Formen unsichtbar gemachter Arbeit haben sich seit Silvia Federicis Forderung zur Bezahlung von Hausarbeit (1975) diversifiziert und waren nie nur an binären Geschlechterlinien festzumachen. Insbesondere der Aufbau und Erhalt der Infrastrukturen des Internets selbst oder der Datenverarbeitung wird zu großen Teilen unsichtbar und unter- bis unbezahlt in neokolonialen Ausbeutungsprozessen erwirtschaftet (vgl. Philip 2021). In diesem Profitmodell leisten die App-Nutzerinnen (vornehmlich des globalen Nordens) unsichtbare Arbeit, indem sie ihre Daten männlich dominierten Tech-Firmen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig erwirtschaften Arbeiterinnen des globalen Südens eben jene materiellen Infrastrukturen, sowie als weniger kreativ angesehene Coding-Arbeit – häufig gegen keine oder kaum Entlohnung. Ganz zu schweigen von dem Lebensraum, der durch den Aufbau und Erhalt dieser Strukturen menschlichen und nicht-menschlichen Akteurinnen genommen wird.
Die angepriesene Kontrolle bezüglich des eigenen Körpers verkehrt sich ein weiteres Mal in ihr Gegenteil, nämlich in der Kontrolle der Anbieter über die Körperdaten: Trotz mehrfacher Beteuerungen zur Sicherheit und Kontrolle über die eigenen Daten, wurden auch nach Veröffentlichungen 2019 über die Datenverkäufe einiger sehr beliebter Zyklus-Apps 2020 und 2021 abermals Daten an Dritte gegeben – ohne Einwilligung der Nutzerinnen oder trotz Versprechen, die Daten würden geschützt (vgl. ebd. Gilman 2021: 103). Es ist nachgewiesen, dass Datenschutzerklärungen ohne Fachwissen kaum verständlich sind und somit die Freiwilligkeit eines Einverständnisses hinterfragt werden muss (vgl. ebd.: 110). Zustimmung wird in diesen Apps zu einem singulären Akt reduziert, einem einfachen „Ja“ mit zeitlich unbegrenzten Folgen über den Besitz der eigenen Daten. In dem kollektiv erarbeiteten Feminist Data Manifest-No verorten die Autorinnen tatsächliche Entscheidungs- und Handlungsmacht in Modellen, in denen eine Einwilligung frei gegeben, umkehrbar, informiert, enthusiastisch und spezifisch sein muss, um als solche zu gelten. „Nein“ muss als eine reale Option gelten, in allen online Interaktionen mit datengesteuerten Produkten und Plattformen – „Nein“ muss eingewoben werden in neue intersektionale Datensysteme. Die aktive Zustimmung ist nicht zufälligerweise angelehnt an ein Modell zum Konsens sexueller Handlungen, sowie Entscheidungen bezüglich des eigenen Körpers von Planned Parenthood (vgl. Cifor et al. 2019 Nr 9 und Nr 15).
Daten sind keine natürlichen Einheiten, sie werden immer im Kontext spezifischer gesellschaftlicher, staatlich regulierter, historischer Umstände erhoben und ausgewertet. Sie sind situiert und verkörpert und können nicht losgelöst von den Körpern betrachtet werden, die sie generieren und die von ihnen generiert werden (vgl. ebd.).
Die Verwertungslogik marktorientierter Unternehmen dreht also das Kontroll-Narrativ des Körpers der Zyklus-Apps um: Daten werden scheinbar gelöst von den Körpern der Nutzer*innen weiterverkauft, sei es anonym oder unverschlüsselt – bei Schwangeren beispielsweise für das 15-fache wie die Daten nicht schwangerer Nutzender (vgl. Gilman 2021: 104). Die vorgebliche Trennung von Körpern und (Körper-)Daten kontrastiert mit der personenbezogenen Werbung und dem Verkauf von Produkten, die auf scheinbare oder generierte Bedürfnisse zugeschnitten werden.
Die missbräuchliche, nicht eingewilligte Verwendung von Daten ist so nicht trennbar von körperlichen und/oder seelischen Grenzüberschreitungen oder Gewalt, so wie online- und offline Räume nicht eindeutig trennbar sind.

State-tracking und Überwachung bei restriktiven Abtreibungsgesetzen

Die Folgen lassen sich derzeit bespielhaft in den USA beobachten: Wie umfassend die Konsequenzen sein können, die die digitale Selbst-Überwachung durch Femtech haben kann, wurde im Sommer 2022 deutlich, als das bundesweite Recht auf Abtreibung in den USA, bekannt als „Roe v. Wade“ -Urteil vom Supreme Court abgeschafft wurde. In der Folge wurde in vielen Staaten die Gesetzeslage bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen unübersichtlich und häufig gab es von einen Tag auf den anderen keine medizinische Versorgung mehr für Menschen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollten, sowie bei Fehlgeburten – aus Furcht vor der Unterstellung eines beabsichtigten Aborts. Nutzerinnen wurden gewarnt, dass die eingespeisten Daten nicht nur – wie bereits mehrfach nachgewiesen – missbräuchlich verkauft, sondern zudem zur Strafverfolgung verwendet werden könnten und aufgefordert, ihre Zyklus-Apps zu löschen. Fälle von Verurteilungen wegen eines „Foetozids“ gab es bereits zuvor, wobei die Chatverläufe Angeklagten als Beweismittel für eine Verurteilung dienten (vgl. deutschlandfunkkultur.de 2022). Der Schutz der persönlichen Daten wird hier deutlich als Schutz vor staatlichen Übergriffen, als Schutz des Körpers selbst. Wenige Monate nach dem abgeschafften Recht auf Abtreibung wurde der Fall einer Minderjährigen bekannt, der ein Abbruch vorgeworfen wurde, nachdem Facebook dem FBI Chatverläufe des Teenagers gegeben hatte (vgl. Baker-White 2022). Viele haben jedoch bereits darauf verwiesen, dass die Folgen für ökonoimmisch benachteiligte, rassifizierte Menschen und Menschen mit wenig Zugang zu Bildung deutlich drastischer sind und die medizinische Versorgung nicht erst seit dem Fall von Roe v. Wade für diese Schwangeren vollkommen unzureichend ist und somit die Gefahr für Fehlgeburten – und die Strafverfolgung – ungleich höher ist (vgl. Dirks 2022). Wenngleich die Gesetzgebung in Deutschland weniger restriktiv ist, so sind dennoch Schwangerschaftsabbrüche auch hier verboten (wenn auch straffrei, sofern sie im ersten Trimester durchgeführt werden). Eine Durchführung kann eine erhebliche Kostenbelastung bedeuten, da selbst bei Bedürftigkeit die medizinische Behandlung nur anteilig gezahlt wird. Eine Verfolgung durch das Auslesen von femtech-Daten ist auch hier durchaus möglich, etwa durch den Kauf der Daten durch Abtreibungsgegnerinnen (vgl. deutschlandfunkkultur.de 2022).
Wie aber lässt sich vor diesem Hintergrund die Beobachtung des Körpers und Wissen zum Zyklus als aneignende Praxis verstehen? Wie lässt sich Kontrolle über die eigenen Daten und den eigenen Körper erlangen und gleichzeitig Aneignung nicht primär mit neoliberalen Optimierungsvorstellungen und Besitz verknüpfen?

Cyborg sein jenseits kybernetischer Körpervorstellungen?

Feministische Kritikerinnen wie Donna Haraway und Rosi Braidotti destabilisieren sowohl kybernetisch-biologistische Vorstellungen von Körperlichkeit als auch rein diskursive Betrachtungsweisen des Poststrukturalismus, indem sie die Grenzen zwischen Mensch, Maschine, Tier, Physischem und nicht-Physischem radikal in Frage stellen.
Geschlecht (sex und Gender) ist hier ein materiell fixiertes Ergebnis von Grenzziehungspraktiken, das jedoch nicht natürlich ist. Diese Grenzen können sich gleichzeitig verstärken und aufweichen. Die Frage, die sich damit stellt, ist damit weniger, wie bestimmte Normen Körper erzeugen, als vielmehr wo spezifische Körperlichkeit eingeflochten ist und wo Körper nicht definiert werden kann und muss.
Rosi Braidotti verweist auf die intensiven Zusammenhänge von menschlicher (rationaler, sensorischer und kognitiver) Wahrnehmung und Fähigkeiten und der nicht-menschlichen Umgebung (wie etwa ökologische Vorgänge) ebenso wie „Verbindungen zwischen den Generationen, Beziehungen zwischen verschiedenen Spezies sowie umfangreiche Zusammenhänge mit technologischen Netzwerken.“ (Braidotti 2016).
Poststrukturelle, postkoloniale, anti-rassistische, ökofeministische (und weitere) Kritiker*innen haben darauf verwiesen, wie eng der eurozentrische Humanismus mit dem Subjektbegriff eines weißen, cis-männlichen, heterosexuellen, rationalen Menschen verknüpft ist und auf seine Verschränkung mit Gewalt und Terror verwiesen. Wissen lässt sich jedoch, folgen wir Braidottis Posthumanismus, nicht abkoppeln von den körperlichen, seelischen und gesellschaftlichen Erfahrungen und Machtstrukturen, in die wir eingebettet sind.

Re-Mapping the Body

Wir sind nicht erst seit der Datafizierung unserer Körper Cyborgs und nicht erst seitdem Smartphones permanent mit den Körpern, an denen sie getragen werden, interagieren und diese mitproduzieren. Donna Haraway beschreibt in ihrem Cyborg Manifesto 1985 das ideologische Aufbrechen der Dichotomien von Körper/ Geist, Natur/Kultur, Mann/Frau, primitiv/zivilisiert Ende des 20. Jahrhunderts und insbesondere das Auflösen der Grenzen zwischen Tier/Mensch, Organismus/Maschine und physisch/nicht-physisch des Cyborgs. Je nach Perspektive birgt dieses Auflösen die Gefahr einer vollständigen Aneignung nicht-männlicher Körper in einer maskulinistischen, kriegerischen Verwertungslogik, oder Möglichkeiten, eine Verwandtschaft mit nicht-menschlichen und nicht-organischen Wesen einzugehen und fluide Identitäten und Ambiguitäten zu leben. Wir müssen beide Perspektiven gleichzeitig einnehmen und singuläre Sichtweisen überwinden (vgl. Haraway 2016: 10–16). Eine Betrachtung von Zyklus-Apps rein als biopolitisches Instrument zur Regierung von Körpern in einem poststrukturalistischen Sinn erscheint mir so verkürzt, wenngleich die Analyse der impliziten Vorstellungen von vergeschlechtlichten Körpern, ihrer Reduktion auf binäre Codes und biologistisch- sexistische Annahmen über die Nutzerinnen zeigt, wie umfassend die (staatliche) Kontrolle reproduktionsfähiger Körper in überwachungskapitalistischer Biopolitik ist. Wie ließe sich ein Cyborg denken, der intersektional-feministisch empowert wird? Wie ließe sich das Aneignen des eigenen Körpers durch Wissen verbinden mit technologischen Mitteln und Kämpfen zur Selbstbestimmung – nicht „nur“ als Kampf um den Besitz der eigenen Daten und des individuellen Körpers? Wo liegen die Möglichkeiten eines Cyborgs als „a kind of disassembled and reassembled, postmodern collective and personal self“ (ebd. 2016: 33), eines kollektiven Selbst, das Bündnisse mit nicht-menschlichen Akteurinnen eingeht und neue Mythen erzählt?
Selbstverständlich lässt die Thematik von technikbasierter, bzw. technikunterstützter Beobachtung des Zyklus wenig direkten Spielraum für intersektional-feministische Körperpolitik, sofern mensch sich beschränkt auf eine App als singuläres Werkzeug. Wie die Interviews von Rotthaus zeigen, trägt ein Verständnis über den eigenen Körper -wenngleich die Art der Wissensvermittlung sexistische Stereotype wiederholt – zu einem Selbstermächtigungsprozess bei.
Wie solche Wissensprozesse intersektional und widerständig erfolgen können, zeigt das Lateinamerikanische Kollektiv Miradas Críticas del Territorio desde el Feminismo. Sie verbinden Wissen über den eigenen Körper mit kollektiven Widerstandspraktiken gegen multiple unterdrückende Systeme, indem in Workshops der Körper der Teilnehmenden als Territorium kartografiert wird. Ein Territorium körperlicher Erfahrungen, das nicht durch imaginierte nationale Grenzen patriarchaler, rassistischer und kolonialer Systeme strukturiert wird, sondern sich immer wieder re-konfiguriert durch gemeinsame Kämpfe, Räume, Verletzungen. Hierfür zeichnen die Teilnehmerinnen ihre Körperumrisse (gegenseitig) auf ein Blatt Papier, auf dem sie liegen und erstellen anschließend eine Karte der eigenen, inneren wie äußeren Orte ihrer Kämpfe und Bündnisse (vgl. Kultur ohne Kohle 2021 und Miradas críticas del Territorio desde el Feminismo 2013). Analog ließe sich Körperwissen zu Zyklen (und darüber hinaus) mit körperlichpraktischen Formen des Erzählens und Kartografierens vermitteln und verinnerlichen. Selbst-Beobachtung durch Aufzeichnungen von körperlichen Prozessen wie Basaltemperatur und Zervixschleim lässt sich verwoben mit dem Erleben im Alltag verstehen -nicht als deterministisch-sexistische Strukturierung des Körpers durch hormonelle Einflüsse, sondern als ein Aspekt körperlicher Erfahrungen von vielen, die in Wechselwirkungen miteinander stehen. Das Verständnis über die Phasen des Zyklus kann in Verbindung mit Wissen über Verhütung und Abtreibung (auf medizinischer und juristischer Ebene) zu selbstbestimmter reproduktiver Gesundheit beitragen. Selbstbestimmt ließe sich Wissen auch mit Smartphone-Anwendungen aneignen, etwa, wenn Nutzerinnen die Rückschlüsse ihrer Beobachtungen selbst aus den eingegebenen Daten ziehen können, diese nur lokal gespeichert und die Anwendung selbst mit offenem Quellcode geschrieben wird. Eine Datenweitergabe an Dritte müsste ausgeschlossen werden und die Kontrolle der materiellen Infrastrukturen bei Nutzerinnen wie Entwicklerinnen liegen. Die Praxis der Zyklusbeobachtung allein vermag kein widerständiger feministischer Akt sein, könnte so aber zur Aneignung von Körperwissen mit einer Verbindung zu widerständigem Wissen verknüpft werden.

Zusammenfassung

Der Fokus auf den Körper als Ort (biopolitischer) feministischer Theorie und Praxis ist kein neuer und verschiedene feministische Strömungen haben auf unterschiedliche Aspekte diesbezüglich verwiesen. Die Selbst- oder Wieder-Aneignung von Körpern und Körperwissen jenseits einer cis-männlichen Norm steht dabei im Spannungsfeld zwischen Entnaturalisierung einerseits und dem Sichtbarmachen von körperlichen Wissensformen andererseits. Die zweite Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts fokussierte sich auf den weiblichen Körper als wesentlichen Teil der Autonomie weiblicher Subjekte, die um den Besitz des eigenen Körpers, insbesondere bezogen auf seine Reproduktionsorgane, kämpften. Das Verstehen des Zyklus ist dabei immer weder im Fokus und die Beobachtung des eigenen Körpers wird seit einigen Jahren von Anbietern von Zyklus-Tracking-Apps als empowernde Praxis beworben. Dieses Empowerment ist jedoch eng verknüpft mit kapitalistischen, auf das Individuum bezogene Optimierungslogiken und kontrastiert mit Schwarzen feministischen Theorien und Praktiken von (Selbst-)Ermächtigung, die Wissensaneignung einbetten in koloniale, rassistische Erfahrungen und kollektive Prozesse.
Problematisch ist zudem das vorherrschende Körperverständnis der meisten dieser Anwendungen, nicht nur in Bezug auf ihre sexualisierende und binär-genderstereotype Darstellungen. Das Verständnis von Körperprozessen und ihrer Reduzierbarkeit auf binäre Codes, die berechenbare Rückschlüsse über die psychische Verfassung und Sexualität zulassen, ist Teil kybernetischer Vorstellungen von menschlichen Prozessen als steuerbare Systeme. Die angepriesene Kontrolle des eigenen Körpers durch Femtech-Anbieter verkehrt sich dabei mehrfach in ihr Gegenteil: Nutzerinnen erarbeiten unbezahlt einen Teil der Profite der Unternehmen durch das Eingeben ihrer Daten, ohne eine Kontrolle über deren weitere Verwendung zu behalten. Scheinbar gelöst von den Körpern der Nutzerinnen werden diese weiterverkauft und zu Werbezwecken verwendet. In Bezug auf restriktive Abtreibungsgesetze ergibt sich zudem das Problem einer umfassenden Kontrolle von Menschen mit Uterus, wie sich aktuell in den USA nach dem Fall von Roe v. Wade, sehen lässt – mit massiven Auswirkungen vor allem für ökonomisch marginalisierte und rassifizierte Menschen.
Feministinnen der neuen Materialismen, des Posthumanismus, intersektionaler Perspektiven und der Standpunkttheorien verweisen darauf, dass Körper nicht getrennt betrachtet werden können von den Erfahrungen, die mit ihnen gemacht werden, den Maschinen und nicht-menschlichen Akteurinnen, mit denen sie interagieren und mit denen sie sich wechselwirkend konstituieren.
Das Beobachten des eigenen Körpers und das Lernen über den Zyklus allein mag sich selbstermächtigend anfühlen, stellt für mich jedoch per se keine feministische Handlung dar. Es vermag allerdings Teil einer Form widerständigen Handelns
zu werden, wenn dieses Wissen eingebettet wird in ein größeres Verständnis für
die komplexen Beziehungen verschiedener Akteur*innen und wechselwirkende Unterdrückungsformen. Dass dies den Rahmen einer kleinen Publikation zu Zykluswissen unter Berücksichtigung queerer Lebensweisen und mit Darstellungen von Körpern of Colour sprengt, mag Teil der Unruhe sein, die es gilt auszuhalten.

Hausarbeit im Hauptseminar
Digitale Kultur und Nachhaltigkeit
Wintersemester 2022/23
von Juli Brunner
im Master Transformation Design bei Dr. Paul Feigelfeld

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