Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem die Sonne schnell altert und sich in absehbarer Zeit ausdehnt und das gesamte Sonnensystem verschlingt. Welche Wahl wird die Menschheit angesichts dieser Krise um das Schicksal der menschlichen Zivilisation treffen?
Das ist die Geschichte des Science-Fiction-Romans „The Wandering Earth“ (Liu Cixin), der 2019 und 2023 in die Kinos kommt. Beide Filme zusammen haben an den Kinokassen über eine Milliarde US-Dollar eingespielt. Anders als in unseren üblichen Filmen entscheiden sich die Menschen in dieser Geschichte angesichts einer unausweichlichen Krise nicht dafür, mit Raumschiffen von der Erde zu fliehen und Zuflucht zu suchen. Stattdessen entscheiden sie sich, Zehntausende von Planetentriebwerken auf der Erde zu installieren, um die Erde aus dem Sonnensystem zu schießen.
Obwohl der Film strukturell noch in den Fesseln Hollywoods gefangen ist, wurde er als „Chinas erster wirklich moderner Science-Fiction-Film“ gefeiert und von den Kritikern in China gut aufgenommen, die allgemein der Meinung sind, dass der Film durch die imaginäre Zukunftspläne dem Publikum auf der ganzen Welt eine Geschichte voller Kernelemente der chinesischen Kultur erzählt. Diese Geschichte zeigt, wie die Chinesen das Konzept „Land“ verstehen, und sie zeigt der Welt auch eine andere Reaktion der fernöstlichen Kultur auf die Krise. Eine andere Art des Denkes. (Kloet, 2019)
The Wandering Earth will viel mehr ausdrücken, als nur „eine chinesische Geschichte zu erzählen“. Als Reaktion auf die Krise vereint sich im Film die Menschheit wie nie zuvor und bildet eine Koalitionsregierung(UEG). Doch hinter der oberflächlichen Einigkeit kämpfen im Verborgenen drei Kräfte mit unterschiedlichen Interessen: Die „Erd-Fraktion“, die „Raumschiff-Fraktion“ und die „Digital-Life-Fraktion“.
Die Raumschiff-fraktion plädiert dafür, dass die Menschen riesige Raumschiffe bauen und zum nächsten lebensfreundlichen Planeten fliegen; die Digital-Life-Fraktion nähert sich der Vorstellung moderner Menschen im Metaversum an, d.h. es spielt keine Rolle, ob die Erde überlebt oder zerstört wird, und jeder lädt sein Bewusstsein in die Cloud und auf den „Server“ hoch, um die letzten 100 Jahre der menschlichen Zivilisation zu verbringen. Die Erd-Fraktion ist die dominierende Fraktion im Film. Sie plädiert dafür, die Erde als „Raumschiff“ zu nutzen, um alle Menschen auf eine gemeinsame Reise durch das Universum zu schicken. The Wandering Earth ist nicht der erste Film dieser Art. Die Erdfraktion, auch Planetarismus genannt, ist auch als „Weltschiff“ bekannt, da sie den gesamten Planeten als Transportmittel für die Reise durch das Universum nutzt. Das früheste Konzept eines Weltschiff geht auf den Science-Fiction-Roman Journey to Venus (Munroe, 1897) zurück, ein Raumschiff von der Größe eines Planeten, das ein riesiges und nachhaltiges Ökosystem beherbergt, vergleichbar mit einem ganzen Planeten. (Wang, 2021) Der spätere japanische Film 妖星ゴラス(Gorath; Regie: Ishirō Honda, 1962) zeigte zum ersten Mal das „Weltschiff“. Im Film installierten die Menschen einen riesigen Booster am Südpol, um die Erde von ihrer Umlaufbahn abzulenken, und verhinderten so erfolgreich eine Kollision mit dem Dämonenstern Gorath.
Die drei Mächte, die in The Wandering Earth auftauchen, lösten kurz nach der Veröffentlichung des Films heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit aus. Im chinesischen Internet dominierten die „Erd-Fraktion“ und „Digital-Life-Fraktion“ die Diskussion, während die Stimmen, die die „Raumschiff-Fraktion“ unterstützten, von den beiden ersten Fraktionen übertönt wurde.(Gao, 2019) In Hollywoods Science-Fiction-Filmen ist die Raumschiffperspektive immer noch das Hauptmerkmal, und die im Film 2012 (2009, Regie: Roland Emmerich) vorgeschlagene Methode zur Auswahl der Überlebenden kann fast als Schmeichelei gegenüber dem Kapital angesehen werden: Mitglieder des „perfekten Genpools“ – ihre Aufgabe ist es, das Feuer für die menschliche Zivilisation am Brennen zu halten – nur die Reichen und Mächtigen haben Anspruch auf Tickets für die Arche. Für die anderen besteht der Weg zum Überleben darin, sich als blinder Passagier an Bord des Schiffes zu schmuggeln und in dunklen Ecken heimlich zu überleben. 2012 ist wie viele andere Filme dieser Art ein Beispiel für einen bösen Plan. Obwohl es plausiblere und humanere Wege gäbe, der Krise zu entkommen, entscheidet sich die Raumschiff-fraktion dafür, 99% der Menschen im Stich zu lassen. Nur die weißen Eliten (oder die Eliten der von den USA dominierten Länder des globalen Nordens) können diese Krise überleben, die die Welt verschlingt. Die Katastrophe überleben und die Spezies fortführen. In diesen Science-Fiction überschreiten diese technologischen Eliten die Regeln und die Menschheit selbst und spielen die Rolle des göttlichen Retters der Menschheit. (Wang, 2021) Offensichtlich ist die Raumschifffraktion bei den meisten Chinesen nicht beliebt.
Die Digital-Life-Fraktion und die Erd-Fraktion sind zweifellos das Gegenteil der Raumschiff-Fraktion. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Digital Life-Fraktion sich dafür entscheidet, die Krise passiv zu bekämpfen, indem sie sich dem gegenwärtigen Vergnügen hingibt und zukünftige Katastrophen ignoriert. In gewisser Weise spiegelt dies eine Reihe von Problemen wider, mit denen die chinesische Gesellschaft konfrontiert ist. Die chinesische Mittelschicht ist der Ansicht, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in der heutigen chinesischen Gesellschaft immer größer wird und dass die Klassenverfestigung eine Tatsache geworden ist. Angesichts der sozialen Realität, die nicht durch individuelle Kraft verändert werden kann, bleibt ihnen nur die Wahl, sich „flach zu legen“ – eine Ablehnung des Individuums und der Welt. Der Zustand der Trennung und Isolation ist der gewaltlose Widerstand des Individuums gegen den erzwungenen Lebenszustand und die hilflose Reaktion für das Individuen, sich rechtzeitig zu amüsieren und darin zu überleben, offenbart die Zerrissenheit dieser Generation. (Fei, 2022) Da das digitale Leben die drohende Katastrophe ignoriert, wird es auch von der Raumschiff-fraktion im Film als Täuschung benutzt und zu einer Lüge, die von den Eliten erfunden wurde, um die unterste Klasse dazu zu bringen, ihre Flucht zu unterstützen.
Die Erd-Fraktion ist eine aktive Wahl, um die Krise zu bekämpfen. Denn das Schicksal vieler Menschen ist eng miteinander verknüpft. Die Menschen im Gorath haben sich entschieden, die Krise abzuwenden, indem sie die Erde bewegen – die einzige Möglichkeit, alle zu schützen. Diese Fantasie entspringt auch der persönlichen Erfahrung des Filmemachers. Regisseur Inoshiro Honda nahm am Angriffskrieg gegen China teil und war für den Rest seines Lebens vom Krieg traumatisiert, Drehbuchautor Kaoru Mabuchi wurde wegen seiner politischen Haltung als Mitglied der Kommunistischen Partei Japans zweimal inhaftiert. In gewissem Sinne kann die Erd-fraktion als eine linke Position betrachtet werden. Auf diesem Weltschiff sind alle Menschen unter der Führung der Vereinten Nationen vereint. Über alle Rassen- und Weltanschauungsgrenzen hinweg teilen sie ein gemeinsames Schicksal. Niemand hat Sicherheitsprivilegien über alle anderen. (Wang, 2021) Andererseits hat dieser Film eine enge nationalistische Perspektive, die seinen Planetarismus einschränkt. Im Film steuern japanische Wissenschaftler alle Entscheidungen der Vereinten Nationen, und andere Vertreter der Dritten Welt scheinen das Publikum zu sein. Der Film propagiert übertrieben den Panasiatismus auf japanischer Ebene und betont gleichzeitig die männliche Macht, so dass er nicht wirklicher Planetarismus ist (Wang, 2021). Planetarismus ähnelt eher einer utopischen Existenz: In diesem Raumschiff sind alle gleich und die Wissenschaftler halten sich strikt an ihre Verantwortlichkeiten und Pflichten.
Die Geschichte und kulturelle Gestaltung chinesischer Science-Fiction-Werke
The Wandering Earth füllt eine Lücke im chinesischen Science-Fiction-Filmen. Die Entwicklung von Science-Fiction-Werken in China ist nicht einfach. In der 100-jährigen Geschichte befanden sich mehr als die Hälfte der Werke in einer Zeit, in der sie verboten waren oder die Gesellschaftsform für ihre Entstehung ungeeignet war.
Das erste Werk, das als chinesische Science Fiction anerkannt wurde, war Tales of the Moon Colony (1904). Dieses Werk entstand gegen Ende der Qing-Dynastie, als sich China noch im Strudel des rückständigen Halbkolonialismus und Halbfeudalismus befand. Im Gegensatz zur „Utopie“, die die westliche Science Fiction konstruiert, entstand die chinesische Science Fiction aus einer „kolonialen Logik“ heraus. Sie war eine Reaktion auf die militärische Überlegenheit der westlichen Wissenschaft, beeinflusst durch den intellektuellen, kulturellen und materiellen Einfluss des westlichen kolonialen Expansionismus. In Tales of the Moon Colony besteht die Logik darin, dass das koloniale Subjekt immer das koloniale Subjekt bleiben wird und fremde Zivilisationen weiterhin das Bewusstsein der Welt prägen werden. (Strong, 2020) Ein weiteres Merkmal der Tales of the Moon Colony ist der engstirnige Nationalismus. Die Veröffentlichung des Romans fiel mit dem Russisch-Japanischen Krieg zusammen. Aus Hass und Hilflosigkeit gegenüber der russischen Besetzung Nordostchinas wurde die Erzählung vom Kampf Japans gegen die weißen Mächte als Vertreter der gelben Rasse durchaus akzeptiert. Positiv ist auch das Bild der Japaner im Roman, die den Chinesen nicht nur immer wieder in kritischen Momenten helfen, sondern auch fortschrittliche Technologie mit ihnen teilen. Gleichzeitig drückt der Roman auch die Ängste der damaligen chinesischen Bevölkerung aus: Als Nachzügler des modernen Prozesses wurde das moderne China von der Angst vor Rassenkonkurrenz getrieben und war auch bestrebt, eine eigene Kolonie zu gründen, um den modernen Prozess der primitiven Kapitalakkumulation zu vervollständigen. (Jia, 2023) Science-Fiction vom Ende der Qing-Dynastie bis zum Beginn der Republik China zeigen fast immer eine Zukunft, in der China stark, wohlhabend und fortschrittlich ist, ein Land, das die Welt eher respektiert als erobert. Es ist offensichtlich, dass diese Werke instrumentellen Impulsen unterliegen und einem praktischen Ziel dienen müssen – einem starken China, das frei von kolonialer Ausplünderung ist. (Liu, 2016) Fast alle frühen Science-Fiction-Werke in China drücken die Traurigkeit und Hilflosigkeit des chinesischen Volkes gegenüber dem gesellschaftlichen Status quo aus. Lao Shes frühes Werk „Katzenstadt“ kritisierte die Gefühlskälte der damaligen chinesischen Gesellschaft, der Roman „Unter dem Nordpol“ erschien 1939. Die Chinesen drückten ihre Sehnsucht nach Weltfrieden aus und wollten keine Agressionskriege mehr; der Roman
„Die Kiemen des eisernen Fisches“ von 1942 enthüllte die hilflose Realität, dass chinesische Wissenschaftler zu dieser Zeit keine Möglichkeit hatten, dem Land zu dienen. Die chinesische Science Fiction hatte zu dieser Zeit folgende Merkmale. Erstens war sie ein individuelles Verhalten nichtstaatlicher Personen und wurde nicht in das offizielle Propagandasystem integriert. Zweitens war es aufgrund der extrem hohen Analphabetenrate in China zu dieser Zeit und der Tatsache, dass die meisten Science-Fiction-Werke von hochgebildeten Menschen übersetzt oder geschrieben wurden, deren übertriebener Wunsch nach Literatur es erschwerte, sich unter der Bevölkerung zu verbreiten, und drittens war das politische Umfeld zu dieser Zeit äußerst ungünstig für die Entwicklung der Science Fiction. Aufgrund der heftigen politischen Kämpfe in dieser Zeit wurden realistischere literarische Werke von der Öffentlichkeit eher akzeptiert, während Science-Fiction im Vergleich dazu nicht direkt genug waren und so den Boden für ihre Entwicklung verloren.
Nach der Gründung des Neuen China erlebte die chinesische Science Fiction eine gewisse Entwicklung. Vor dem Ausbruch der Kulturrevolution im Jahr 1966 galt die chinesische Science Fiction als wichtiger Bestandteil des stetigen Fortschritts zum Kommunismus. Nach dem Ausbruch der Kulturrevolution wurde sie jedoch verboten, da die Gegner der Meinung waren, dass „die Beschreibung eines besseren Lebens in der Zukunft die Sehnsucht nach einem materiellen Leben ist“. (Wu et al., 2018) Seitdem stagnierte die Entwicklung der chinesischen Science Fiction nahezu, und erst mit der Reform und Öffnung kam der Frühling. Doch zu dieser Zeit waren chinesische Science-Fiction-Werke noch nicht populär. Kritiker meinten, dass diese Werke keine echte wissenschaftliche Logik hätten, sondern Fantasie, die auf traditioneller Mythologie basiere. (Wang, 2019) Trotz des Mangels an wissenschaftlicher Genauigkeit blühte die chinesische Science Fiction in dieser Zeit auf. Dead coral island (1980) war zu dieser Zeit der erste chinesische Science-Fiction-Film. Die People’s Daily kommentierte:
„Es gibt Mängel in der Spezifität der Science-Fiction und der Technologie der Filmproduktion, aber der rote Laserstrahl, der ins Meer schießt, ist nur ein kurzlebiger Versuch des chinesischen Films in der neuen Ära für diese neue Art von Film.“
Bekannter ist Wonder Boy (1988), ein Film, der die Gedanken der damaligen chinesischen Gesellschaft nach der Reform und Öffnung widerspiegelt: China hofft, sich aktiv in die Welt zu integrieren und mit allen Ländern der Welt in Frieden zu leben.
2016 schlug der Deutsch-chinesische Künstler Lawrence Lek das Konzept des „Sinofuturismus“ vor. Er beschrieb ihn als „eine unsichtbare Bewegung“ und konzentrierte sich auf sechs Stereotypen über China: Rechnen, Kopieren, Lernen, Sucht, Arbeit und Glücksspiel. (Lek, 2016) Der Sinofuturismus scheint historische Trends und aktuelle geopolitische Entwicklungen hinreichend zu illustrieren: Chinas rasante Urbanisierung, Infrastrukturentwicklung und technologische Entwicklung in den letzten sieben Jahrzehnten deuten auf eine eindeutige Zukunft hin. Der chinesische Futurismus ist eine Manifestation des techno-orientalistischen Diskurses. (Seta, 2020) Einerseits lässt sich im Sinofuturismus der Schatten der Ideologie, der Stadtentwicklung und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts des sowjetischen Futurismus erkennen. Andererseits versucht der Sino-Futurismus, das von Weißen dominierte Weltbild zu durchbrechen und auf dieser Grundlage eine eigene zukünftige Welt chinesischer Kultur aufzubauen. Er wurde auch deutlich vom Afrofuturismus inspiriert: Der Afrofuturismus konzentriert sich auf die Geschichten, Perspektiven und Werte von People of Color und kritisiert die allgegenwärtigen strukturellen Ungleichheiten in den gegenwärtigen sozialen und politischen Systemen. (Holbert et al., 2020) China hat sich um 2008 wirtschaftlich rasant entwickelt, aber es fehlte ihm an kultureller Diskurskraft in der Welt. Der Sinofuturismus basiert auf chinesischen kulturellen Werten und drückt die Erforschung des Universums oder die Kritik der Chinesen an der aktuellen Hegemonie auf implizite und freihändige Weise aus. Qiu Anxiongs Serie New Shan Hai Jing (2006-2017) greift durch die Form der Tuschemalerei direkt in die aktuelle soziale Realität und internationale politische Themen wie Umweltzerstörung, Überentwicklung und menschlichen Imperialismus ein. Shan Hai Jing war ursprünglich ein altes chinesisches Buch, in dem verschiedene seltsam aussehende Tiere der Antike beschrieben wurden. Qiu verwendet in seinen Werken eine ähnlich übertriebene Perspektive, um die Widersprüche und Konflikte der menschlichen Gesellschaft zu beschreiben, insbesondere im dritten Werk der Serie, in dem er die Mythen zum Ausdruck bringt, die das Internet den Menschen in der zukünftigen Informationsgesellschaft vermittelt, und damit die akzelerationistische Perspektive des Sinofuturismus zum Ausdruck bringt.
The Wandering Earth brachte den Akzelerationismus auf einen neuen Höhepunkt. Die meisten der im Film gezeigten Technologien – sogar die Planetentriebwerken – wurden von Wissenschaftlern gründlich durchgerechnet und auf ihre Machbarkeit hin überprüft. In The Wandering Earth 2, der im Jahr 2023 in die Kinos kommt, werden viele der coolen und fortschrittlichen Geräte sogar in kleinem Maßstab kommerzialisiert. Sogar der Regisseur Guo Fan sagte offen: „Ich befürchte, dass der dritte Film von The Wandering Earth kein Science-Fiction-Film mehr sein wird, sondern ein Dokumentarfilm, wenn er es nicht wagt, seine Fantasie mutiger einzusetzen. (PhoenixTV, 2023) Obwohl China nicht mehr erwartet, dass Science Fiction „im Geiste kommunistisch“ ist oder wissenschaftliche Funktionen erfüllt, stärkt es dennoch den ideologischen Rahmen des technologischen Fortschritts. The Wandering Earth versucht, an die Einheit der Länder des globalen Südens zu appellieren und Hegemonie durch Technologiefetischismus zu bekämpfen. Auch wenn das Ende vielleicht nicht ganz so optimistisch ausfällt, wie die Metapher des Films: „Der Aufwand, den menschlichen Geist zu entkolonialisieren, ist genauso groß wie der Aufwand, die Erde in ein anderes Sonnensystem zu bringen. (Khan, 2020) Sowohl der Sinofuturismus als auch der Afrofuturismus können aus der Perspektive der internationalen Politik als Global Southern Futurism klassifiziert werden. (Gao, 2017) Global-South-Futuristen nehmen eine nicht-westliche Perspektive auf die Zukunft, Science Fiction und spekulatives Design ein. Der Unterschied besteht darin, dass sich der Afrofuturismus mehr mit der Gestaltung der Zukunft beschäftigt, da die Geschichte Afrikas einst von weißen Kolonialherren absichtlich zerstört und ausgelöscht wurde. (Acuff, 2020) Und der chinesische Futurismus zieht es vor, die Zukunft als ein Spiegelbild der Geschichte zu betrachten – sei es der Seidenpunk, der aus dem chinesischen Futurismus hervorging, oder populäre Science-Fiction-Werke, Elemente und Anspielungen aus der chinesischen Geschichte werden verwendet. Die wiederholte Verwendung ist zu einem wichtigen Thema Etikett des chinesischen Futurismus geworden.
Die Entwicklungsgeschichte der chinesischen Science Fiction spiegelt in gewisser Weise den Wandel der chinesischen Gesellschaft und Ideologie wider: von der Sehnsucht nach dem Starken im Zeitalter der Kolonialisierung und Unterdrückung über eine positive Einstellung zur Integration in die Welt bis hin zum aktuellen Ruf nach einer entkolonialisierten Zukunft. Dies ist nicht nur das Ergebnis von Chinas Verständnis der Welt in den letzten 100 Jahren, sondern auch das Ergebnis eines neuen Selbstverständnisses.
Science Fiction und Krise in der Realität
Obwohl es sich bei „The Wandering Earth“ um einen Science-Fiction-Film handelt, hätte zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung niemand gedacht, dass er sich auch zu einem zukunftsweisenden Dokumentarfilm entwickeln würde. Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Films brach weltweit eine Krise aus, die die menschliche Gesellschaft von Grund auf veränderte. Als ein Virus ohne Grenzen hat Covid-19 in nur zwei Monaten auf unerwartete Weise ein neues Gefühl der Globalisierung erreicht.
In The Wandering Earth geriet die Erde einst in eine Jupiter-Gravitationskrise, die zum Stillstand des planetaren Motors führte. Die UEG beschloss, Vollständige Rettung herbei zu führen und den Planeten um jeden Preis zu retten, und viele Menschen auf der ganzen Welt widmeten sich dieser dringenden Aufgabe. Tatsächlich wurde Wuhan, die Stadt, in der die ersten Fälle des Virus gemeldet wurden, unter Kontrolle gebracht, medizinische Teams aus ganz China reisten nach Hubei, um den Kampf gegen die Epidemie zu unterstützen, und Länder auf der ganzen Welt stellten China medizinische Hilfe zur Verfügung. Für viele junge Chinesen war es das erste Mal, dass sie eine echte „Vollständige Rettung“ erlebten. Die Leistung, das Virus auf dem chinesischen Festland in weniger als drei Monaten „auszurotten“, hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Die Dauer der Epidemie hat jedoch dazu geführt, dass die Öffentlichkeit der sensiblen Politik der chinesischen Regierung in Bezug auf das Virus überdrüssig geworden ist. Anfang 2022, im dritten Jahr der Epidemie, kam es auf dem chinesischen Festland zu sporadischen Protesten gegen die Epidemiepräventionspolitik, die in Shanghai begannen und das öffentliche Leben beeinflussten. Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt gegen Ende des Jahres, als ein Brand in Ürümqi die Wut der Einwohner über die Seuchenbekämpfungspolitik entfachte und zu gewalttätigen Demonstrationen und Märschen im ganzen Land führte.
Eine solche Szene wird auch von The Wandering Earth vorhergesagt. Viele Menschen, die vom „Wandering Earth Project“ betroffen sind, glauben fest daran, dass die Heliumblitze der Sonne ein Schwindel der Regierung sind, um die Menschen zu versklaven. Sie organisieren Demonstrationen und Unruhen, nehmen Wissenschaftler gefangen und exekutieren die jenignen, die sich für solare Heliumblitze einsetzten – aber in der Sekunde, in der die Wissenschaftler hingerichtet werden, bricht die Sonne mit Heliumblitzen aus.
Der Film bringt eine solche Sichtweise zum Ausdruck: Die wahre Krise liegt nicht in der enormen Schwerkraft des Jupiter und den Einschlägen von Asteroiden, sondern in den Menschen selbst. Der Film gibt auch eine Antwort auf die Krise: Wenn eine Krise droht, können sich die Menschen für kurze Zeit zusammenschließen. Dies erklärt zweifellos, warum die ganze Welt in den ersten Stadien der Epidemie zusammenarbeiten konnte, aber als die Epidemie andauerte, begannen die Länder auf der ganzen Welt, sich gegenseitig die Schuld zu geben, und einige Länder begannen sogar, die medizinische Versorgung anderer Länder zu stehlen.
Die Epidemie ist die Krise, die uns am nächsten ist, aber durch die Epidemie können wir immer noch die tiefgreifenden Auswirkungen des Kolonialismus auf die Gesellschaft spüren. Impfstoffe sind wieder einmal zu einem Mittel des Wettbewerbs und des Profits für die großen Länder geworden, und das Überleben und die Mutation der Viren in den Ländern des Südens wurden ignoriert, obwohl sie Opfer für die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen gebracht haben. Dies hat den Impfnationalismus in den Ländern des Südens erheblich verstärkt (Fallah, 2022). Die Epidemie zeigt nicht nur das Fortbestehen des Nationalismus, sondern auch seine Verschärfung. (Ahmad und Kang, 2022) Der Aufstieg des Nationalismus wird zweifellos die Widersprüche und Konflikte in der menschlichen Gesellschaft verschärfen. Der Impfnationalismus untergräbt das Vertrauen zwischen den Ländern des Südens und des Nordens, was unweigerlich die Ungleichheiten in der vom westlichen Modell geleiteten globalen Entwicklung verschärfen wird (Fry, 2020), die in Zukunft komplexer und kontroverser werden wird.
In der Geschichte der Menschheit waren dies zweifellos die Momente, die zu wirklichen Krisen in der menschlichen Gesellschaft geführt haben. Die beiden Weltkriege haben unzählige Menschen unter sich begraben, die von Menschen entworfene und gebaute Atombombe hat den Weltuntergang heraufbeschworen und der amerikanisch-sowjetische Hegemonialkampf hat die ganze Welt in den Schatten des nuklearen Winters gehüllt. Im Moment blutet der russisch-ukrainische Krieg langsam aus der menschlichen Gesellschaft.
„Design in Crisis“ und zukünftige Entwicklung im östlichen Kontext
Chinas rasante Entwicklung festigt seinen Status als Großmacht. Die bemerkenswerten Leistungen Chinas in der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung haben dazu geführt, dass China Japan als Vertreter des „technologischen Orientalismus“ abgelöst hat. China lebt bereits in der Zukunft, kommt aus der Zukunft oder beschwört ein chinesisches Zukunftsmodell mit globalen Auswirkungen. (Seta, 2020) In diesem globalen wirtschaftlichen Abschwung wird die menschliche Gesellschaft durch Epidemien und Kriege an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. China hat das Recht und die Pflicht, sich zu erheben und die Energie der unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt zu mobilisieren, um die menschliche Gesellschaft in eine bessere Welt zu führen.
Zurück zu The Wandering Earth: In diesem Film kann man einen viel tieferen Ausdruck des Planetarismus erkennen als in Gorath. Den Protagonisten dieses Films ist es fast nie gelungen, die Erde zu retten – sie scheiterten schon bei der ersten Rettung im Hangzho, und bei der letzten Mission war das Wissenschaftlerteam aus Israel schneller als sie. In der Nähe von Sulawesi gelang es zwei weiteren Rettungsteams aus aller Welt, ebenfalls vor ihnen, den triebwerken zu zünden. Wissenschaftler, Soldaten und Astronauten aus Ländern des globalen Südens erleben in diesen beiden Filmreihen wunderbare und unvergessliche Höhepunkte. Daniela Tassy, die Schauspielerin aus Brasilien, ist stolz darauf, eine brasilianische Astronautin zu spielen, die die Erde gerettet hat. Dieser Film durchbricht den westlichen Kontext, der die Macht des kulturellen Diskurses besitzt, und bringt den Kern des Planetismus auf den Punkt: wirklich alle einbeziehen und gegen die Spaltung, den Ausschluss, die Unterdrückung und den egozentrischen Konsum des Neoliberalismus anzugehen. Niemand ist ein Held, der die Welt rettet, aber jeder ist ein Held, der die Welt rettet.
Wenn wir beginnen, die Gesellschaft, mit der wir konfrontiert sind, neu zu untersuchen, sind wir uns immer noch der Existenz einer Krise bewusst, Neokolonialismus und Neoliberalismus sind immer noch vorherrschend und der globale Norden monopolisiert die Stimme des Internets und der Medien. Wir scheinen keine Möglichkeit zu haben, den etablierten Status quo der Gesellschaft zu durchbrechen und sind selbst in einem Informationskokon wie Huxleys „Schöne neue Welt“ verblendet. Erst wenn eine Krise von außen kommt, können wir die wirkliche Krise erkennen, die durch die Widersprüche der Menschen am Anfang der von äußeren Kräften zerrissenen Ecke verursacht wird.
The Wandering Earth ist ein schöner Film, er zeigt uns eine mögliche Krisenreaktion mit fernöstlicher Romantik. Viele werden den Film mit der alten chinesischen Legende 大禹治水„Wasserkontrolle von Dayu“ in Verbindung bringen. In der Geschichte von Yu erleben die alten Chinesen eine Krise, die auch in der Bibel erwähnt wird: die Wasserüberschwimmung. Im Gegensatz zum Westen entschieden sich die Chinesen nicht dafür, Fluchtboote zu bauen, sondern Dämme zu errichten und Flüsse zu graben, um die Überschwemmungen zu kontrollieren. Da Dayu damals der größte Held bei der Kontrolle der Fluten war, wurde er zum Herrscher gewählt und gründete die erste chinesische Familiendynastie „Xia“. Im Gegensatz zur Geschichte der europäischen Länder haben die fernöstlichen Länder, vertreten durch China, Japan und Südkorea, in ihrer Geschichte zwar Kriege erlebt, aber ihre Kultur wurde in einer kontinuierlichen Linie mit dem Wechsel der Dynastien weitergegeben. Während die Europäer die Krise aus einer zentralen Perspektive betrachten, neigen die Menschen im Osten eher dazu, die Probleme aus einer parallelen Perspektive zu betrachten. Dies könnte auch erklären, warum östliche Kulturen pragmatischer mit der Natur umgehen: Angesichts von Naturkrisen entscheiden sich die Menschen im Osten dafür, mit der Natur umzugehen, indem sie sie verändern. Sie glauben, dass ein Leben im Einklang mit der Natur nicht bedeutet, sie passiv hinzunehmen, sondern sie rationaler zu nutzen.
Dennoch müssen wir uns eines ernsten Problems bewusst sein: Science-Fiction mögen eine strahlende Zukunft versprechen, doch sind keine Realität. Die menschliche Gesellschaft ist oft komplexer und härter als die Welt des künstlerischen Schaffens. Wir müssen erkennen, dass Science Fiction ein romantischer Ausdruck von Eskapismus ist. Nur wenn wir die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit erkennen, können wir die Krise, in der wir uns heute befinden, besser verstehen. Dies wird uns auch zu einer tieferen Frage führen: Wie können wir die Barrieren der Vielfalt überwinden, eine gemeinsame Basis finden, aber die Unterschiede bewahren und die menschliche Gesellschaft in eine bessere Zukunft führen?
Literatur
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Phoenix TV, 2023, Wu Xiaoli interviewed Guo Fan, the director of „The Wandering Earth“.
Hausarbeit von Xuan Qiao
Dieser Text ist im Rahmen der ifk Sommerakademie an der Kunstuniversität Linz zum Thema "Die Große Transformation" entstanden.
The Wandering Earth und die drei Fraktionen
Stellen Sie sich ein Szenario vor, in dem die Sonne schnell altert und sich in absehbarer Zeit ausdehnt und das gesamte Sonnensystem verschlingt. Welche Wahl wird die Menschheit angesichts dieser Krise um das Schicksal der menschlichen Zivilisation treffen?
Das ist die Geschichte des Science-Fiction-Romans „The Wandering Earth“ (Liu Cixin), der 2019 und 2023 in die Kinos kommt. Beide Filme zusammen haben an den Kinokassen über eine Milliarde US-Dollar eingespielt. Anders als in unseren üblichen Filmen entscheiden sich die Menschen in dieser Geschichte angesichts einer unausweichlichen Krise nicht dafür, mit Raumschiffen von der Erde zu fliehen und Zuflucht zu suchen. Stattdessen entscheiden sie sich, Zehntausende von Planetentriebwerken auf der Erde zu installieren, um die Erde aus dem Sonnensystem zu schießen.
Obwohl der Film strukturell noch in den Fesseln Hollywoods gefangen ist, wurde er als „Chinas erster wirklich moderner Science-Fiction-Film“ gefeiert und von den Kritikern in China gut aufgenommen, die allgemein der Meinung sind, dass der Film durch die imaginäre Zukunftspläne dem Publikum auf der ganzen Welt eine Geschichte voller Kernelemente der chinesischen Kultur erzählt. Diese Geschichte zeigt, wie die Chinesen das Konzept „Land“ verstehen, und sie zeigt der Welt auch eine andere Reaktion der fernöstlichen Kultur auf die Krise. Eine andere Art des Denkes. (Kloet, 2019)
The Wandering Earth will viel mehr ausdrücken, als nur „eine chinesische Geschichte zu erzählen“. Als Reaktion auf die Krise vereint sich im Film die Menschheit wie nie zuvor und bildet eine Koalitionsregierung(UEG). Doch hinter der oberflächlichen Einigkeit kämpfen im Verborgenen drei Kräfte mit unterschiedlichen Interessen: Die „Erd-Fraktion“, die „Raumschiff-Fraktion“ und die „Digital-Life-Fraktion“.
Die Raumschiff-fraktion plädiert dafür, dass die Menschen riesige Raumschiffe bauen und zum nächsten lebensfreundlichen Planeten fliegen; die Digital-Life-Fraktion nähert sich der Vorstellung moderner Menschen im Metaversum an, d.h. es spielt keine Rolle, ob die Erde überlebt oder zerstört wird, und jeder lädt sein Bewusstsein in die Cloud und auf den „Server“ hoch, um die letzten 100 Jahre der menschlichen Zivilisation zu verbringen. Die Erd-Fraktion ist die dominierende Fraktion im Film. Sie plädiert dafür, die Erde als „Raumschiff“ zu nutzen, um alle Menschen auf eine gemeinsame Reise durch das Universum zu schicken. The Wandering Earth ist nicht der erste Film dieser Art. Die Erdfraktion, auch Planetarismus genannt, ist auch als „Weltschiff“ bekannt, da sie den gesamten Planeten als Transportmittel für die Reise durch das Universum nutzt. Das früheste Konzept eines Weltschiff geht auf den Science-Fiction-Roman Journey to Venus (Munroe, 1897) zurück, ein Raumschiff von der Größe eines Planeten, das ein riesiges und nachhaltiges Ökosystem beherbergt, vergleichbar mit einem ganzen Planeten. (Wang, 2021) Der spätere japanische Film 妖星ゴラス(Gorath; Regie: Ishirō Honda, 1962) zeigte zum ersten Mal das „Weltschiff“. Im Film installierten die Menschen einen riesigen Booster am Südpol, um die Erde von ihrer Umlaufbahn abzulenken, und verhinderten so erfolgreich eine Kollision mit dem Dämonenstern Gorath.
Die drei Mächte, die in The Wandering Earth auftauchen, lösten kurz nach der Veröffentlichung des Films heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit aus. Im chinesischen Internet dominierten die „Erd-Fraktion“ und „Digital-Life-Fraktion“ die Diskussion, während die Stimmen, die die „Raumschiff-Fraktion“ unterstützten, von den beiden ersten Fraktionen übertönt wurde.(Gao, 2019) In Hollywoods Science-Fiction-Filmen ist die Raumschiffperspektive immer noch das Hauptmerkmal, und die im Film 2012 (2009, Regie: Roland Emmerich) vorgeschlagene Methode zur Auswahl der Überlebenden kann fast als Schmeichelei gegenüber dem Kapital angesehen werden: Mitglieder des „perfekten Genpools“ – ihre Aufgabe ist es, das Feuer für die menschliche Zivilisation am Brennen zu halten – nur die Reichen und Mächtigen haben Anspruch auf Tickets für die Arche. Für die anderen besteht der Weg zum Überleben darin, sich als blinder Passagier an Bord des Schiffes zu schmuggeln und in dunklen Ecken heimlich zu überleben. 2012 ist wie viele andere Filme dieser Art ein Beispiel für einen bösen Plan. Obwohl es plausiblere und humanere Wege gäbe, der Krise zu entkommen, entscheidet sich die Raumschiff-fraktion dafür, 99% der Menschen im Stich zu lassen. Nur die weißen Eliten (oder die Eliten der von den USA dominierten Länder des globalen Nordens) können diese Krise überleben, die die Welt verschlingt. Die Katastrophe überleben und die Spezies fortführen. In diesen Science-Fiction überschreiten diese technologischen Eliten die Regeln und die Menschheit selbst und spielen die Rolle des göttlichen Retters der Menschheit. (Wang, 2021) Offensichtlich ist die Raumschifffraktion bei den meisten Chinesen nicht beliebt.
Die Digital-Life-Fraktion und die Erd-Fraktion sind zweifellos das Gegenteil der Raumschiff-Fraktion. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Digital Life-Fraktion sich dafür entscheidet, die Krise passiv zu bekämpfen, indem sie sich dem gegenwärtigen Vergnügen hingibt und zukünftige Katastrophen ignoriert. In gewisser Weise spiegelt dies eine Reihe von Problemen wider, mit denen die chinesische Gesellschaft konfrontiert ist. Die chinesische Mittelschicht ist der Ansicht, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in der heutigen chinesischen Gesellschaft immer größer wird und dass die Klassenverfestigung eine Tatsache geworden ist. Angesichts der sozialen Realität, die nicht durch individuelle Kraft verändert werden kann, bleibt ihnen nur die Wahl, sich „flach zu legen“ – eine Ablehnung des Individuums und der Welt. Der Zustand der Trennung und Isolation ist der gewaltlose Widerstand des Individuums gegen den erzwungenen Lebenszustand und die hilflose Reaktion für das Individuen, sich rechtzeitig zu amüsieren und darin zu überleben, offenbart die Zerrissenheit dieser Generation. (Fei, 2022) Da das digitale Leben die drohende Katastrophe ignoriert, wird es auch von der Raumschiff-fraktion im Film als Täuschung benutzt und zu einer Lüge, die von den Eliten erfunden wurde, um die unterste Klasse dazu zu bringen, ihre Flucht zu unterstützen.
Die Erd-Fraktion ist eine aktive Wahl, um die Krise zu bekämpfen. Denn das Schicksal vieler Menschen ist eng miteinander verknüpft. Die Menschen im Gorath haben sich entschieden, die Krise abzuwenden, indem sie die Erde bewegen – die einzige Möglichkeit, alle zu schützen. Diese Fantasie entspringt auch der persönlichen Erfahrung des Filmemachers. Regisseur Inoshiro Honda nahm am Angriffskrieg gegen China teil und war für den Rest seines Lebens vom Krieg traumatisiert, Drehbuchautor Kaoru Mabuchi wurde wegen seiner politischen Haltung als Mitglied der Kommunistischen Partei Japans zweimal inhaftiert. In gewissem Sinne kann die Erd-fraktion als eine linke Position betrachtet werden. Auf diesem Weltschiff sind alle Menschen unter der Führung der Vereinten Nationen vereint. Über alle Rassen- und Weltanschauungsgrenzen hinweg teilen sie ein gemeinsames Schicksal. Niemand hat Sicherheitsprivilegien über alle anderen. (Wang, 2021) Andererseits hat dieser Film eine enge nationalistische Perspektive, die seinen Planetarismus einschränkt. Im Film steuern japanische Wissenschaftler alle Entscheidungen der Vereinten Nationen, und andere Vertreter der Dritten Welt scheinen das Publikum zu sein. Der Film propagiert übertrieben den Panasiatismus auf japanischer Ebene und betont gleichzeitig die männliche Macht, so dass er nicht wirklicher Planetarismus ist (Wang, 2021). Planetarismus ähnelt eher einer utopischen Existenz: In diesem Raumschiff sind alle gleich und die Wissenschaftler halten sich strikt an ihre Verantwortlichkeiten und Pflichten.
Die Geschichte und kulturelle Gestaltung chinesischer Science-Fiction-Werke
The Wandering Earth füllt eine Lücke im chinesischen Science-Fiction-Filmen. Die Entwicklung von Science-Fiction-Werken in China ist nicht einfach. In der 100-jährigen Geschichte befanden sich mehr als die Hälfte der Werke in einer Zeit, in der sie verboten waren oder die Gesellschaftsform für ihre Entstehung ungeeignet war.
Das erste Werk, das als chinesische Science Fiction anerkannt wurde, war Tales of the Moon Colony (1904). Dieses Werk entstand gegen Ende der Qing-Dynastie, als sich China noch im Strudel des rückständigen Halbkolonialismus und Halbfeudalismus befand. Im Gegensatz zur „Utopie“, die die westliche Science Fiction konstruiert, entstand die chinesische Science Fiction aus einer „kolonialen Logik“ heraus. Sie war eine Reaktion auf die militärische Überlegenheit der westlichen Wissenschaft, beeinflusst durch den intellektuellen, kulturellen und materiellen Einfluss des westlichen kolonialen Expansionismus. In Tales of the Moon Colony besteht die Logik darin, dass das koloniale Subjekt immer das koloniale Subjekt bleiben wird und fremde Zivilisationen weiterhin das Bewusstsein der Welt prägen werden. (Strong, 2020) Ein weiteres Merkmal der Tales of the Moon Colony ist der engstirnige Nationalismus. Die Veröffentlichung des Romans fiel mit dem Russisch-Japanischen Krieg zusammen. Aus Hass und Hilflosigkeit gegenüber der russischen Besetzung Nordostchinas wurde die Erzählung vom Kampf Japans gegen die weißen Mächte als Vertreter der gelben Rasse durchaus akzeptiert. Positiv ist auch das Bild der Japaner im Roman, die den Chinesen nicht nur immer wieder in kritischen Momenten helfen, sondern auch fortschrittliche Technologie mit ihnen teilen. Gleichzeitig drückt der Roman auch die Ängste der damaligen chinesischen Bevölkerung aus: Als Nachzügler des modernen Prozesses wurde das moderne China von der Angst vor Rassenkonkurrenz getrieben und war auch bestrebt, eine eigene Kolonie zu gründen, um den modernen Prozess der primitiven Kapitalakkumulation zu vervollständigen. (Jia, 2023) Science-Fiction vom Ende der Qing-Dynastie bis zum Beginn der Republik China zeigen fast immer eine Zukunft, in der China stark, wohlhabend und fortschrittlich ist, ein Land, das die Welt eher respektiert als erobert. Es ist offensichtlich, dass diese Werke instrumentellen Impulsen unterliegen und einem praktischen Ziel dienen müssen – einem starken China, das frei von kolonialer Ausplünderung ist. (Liu, 2016) Fast alle frühen Science-Fiction-Werke in China drücken die Traurigkeit und Hilflosigkeit des chinesischen Volkes gegenüber dem gesellschaftlichen Status quo aus. Lao Shes frühes Werk „Katzenstadt“ kritisierte die Gefühlskälte der damaligen chinesischen Gesellschaft, der Roman „Unter dem Nordpol“ erschien 1939. Die Chinesen drückten ihre Sehnsucht nach Weltfrieden aus und wollten keine Agressionskriege mehr; der Roman
„Die Kiemen des eisernen Fisches“ von 1942 enthüllte die hilflose Realität, dass chinesische Wissenschaftler zu dieser Zeit keine Möglichkeit hatten, dem Land zu dienen. Die chinesische Science Fiction hatte zu dieser Zeit folgende Merkmale. Erstens war sie ein individuelles Verhalten nichtstaatlicher Personen und wurde nicht in das offizielle Propagandasystem integriert. Zweitens war es aufgrund der extrem hohen Analphabetenrate in China zu dieser Zeit und der Tatsache, dass die meisten Science-Fiction-Werke von hochgebildeten Menschen übersetzt oder geschrieben wurden, deren übertriebener Wunsch nach Literatur es erschwerte, sich unter der Bevölkerung zu verbreiten, und drittens war das politische Umfeld zu dieser Zeit äußerst ungünstig für die Entwicklung der Science Fiction. Aufgrund der heftigen politischen Kämpfe in dieser Zeit wurden realistischere literarische Werke von der Öffentlichkeit eher akzeptiert, während Science-Fiction im Vergleich dazu nicht direkt genug waren und so den Boden für ihre Entwicklung verloren.
Nach der Gründung des Neuen China erlebte die chinesische Science Fiction eine gewisse Entwicklung. Vor dem Ausbruch der Kulturrevolution im Jahr 1966 galt die chinesische Science Fiction als wichtiger Bestandteil des stetigen Fortschritts zum Kommunismus. Nach dem Ausbruch der Kulturrevolution wurde sie jedoch verboten, da die Gegner der Meinung waren, dass „die Beschreibung eines besseren Lebens in der Zukunft die Sehnsucht nach einem materiellen Leben ist“. (Wu et al., 2018) Seitdem stagnierte die Entwicklung der chinesischen Science Fiction nahezu, und erst mit der Reform und Öffnung kam der Frühling. Doch zu dieser Zeit waren chinesische Science-Fiction-Werke noch nicht populär. Kritiker meinten, dass diese Werke keine echte wissenschaftliche Logik hätten, sondern Fantasie, die auf traditioneller Mythologie basiere. (Wang, 2019) Trotz des Mangels an wissenschaftlicher Genauigkeit blühte die chinesische Science Fiction in dieser Zeit auf. Dead coral island (1980) war zu dieser Zeit der erste chinesische Science-Fiction-Film. Die People’s Daily kommentierte:
„Es gibt Mängel in der Spezifität der Science-Fiction und der Technologie der Filmproduktion, aber der rote Laserstrahl, der ins Meer schießt, ist nur ein kurzlebiger Versuch des chinesischen Films in der neuen Ära für diese neue Art von Film.“
Bekannter ist Wonder Boy (1988), ein Film, der die Gedanken der damaligen chinesischen Gesellschaft nach der Reform und Öffnung widerspiegelt: China hofft, sich aktiv in die Welt zu integrieren und mit allen Ländern der Welt in Frieden zu leben.
2016 schlug der Deutsch-chinesische Künstler Lawrence Lek das Konzept des „Sinofuturismus“ vor. Er beschrieb ihn als „eine unsichtbare Bewegung“ und konzentrierte sich auf sechs Stereotypen über China: Rechnen, Kopieren, Lernen, Sucht, Arbeit und Glücksspiel. (Lek, 2016) Der Sinofuturismus scheint historische Trends und aktuelle geopolitische Entwicklungen hinreichend zu illustrieren: Chinas rasante Urbanisierung, Infrastrukturentwicklung und technologische Entwicklung in den letzten sieben Jahrzehnten deuten auf eine eindeutige Zukunft hin. Der chinesische Futurismus ist eine Manifestation des techno-orientalistischen Diskurses. (Seta, 2020) Einerseits lässt sich im Sinofuturismus der Schatten der Ideologie, der Stadtentwicklung und des wissenschaftlich-technischen Fortschritts des sowjetischen Futurismus erkennen. Andererseits versucht der Sino-Futurismus, das von Weißen dominierte Weltbild zu durchbrechen und auf dieser Grundlage eine eigene zukünftige Welt chinesischer Kultur aufzubauen. Er wurde auch deutlich vom Afrofuturismus inspiriert: Der Afrofuturismus konzentriert sich auf die Geschichten, Perspektiven und Werte von People of Color und kritisiert die allgegenwärtigen strukturellen Ungleichheiten in den gegenwärtigen sozialen und politischen Systemen. (Holbert et al., 2020) China hat sich um 2008 wirtschaftlich rasant entwickelt, aber es fehlte ihm an kultureller Diskurskraft in der Welt. Der Sinofuturismus basiert auf chinesischen kulturellen Werten und drückt die Erforschung des Universums oder die Kritik der Chinesen an der aktuellen Hegemonie auf implizite und freihändige Weise aus. Qiu Anxiongs Serie New Shan Hai Jing (2006-2017) greift durch die Form der Tuschemalerei direkt in die aktuelle soziale Realität und internationale politische Themen wie Umweltzerstörung, Überentwicklung und menschlichen Imperialismus ein. Shan Hai Jing war ursprünglich ein altes chinesisches Buch, in dem verschiedene seltsam aussehende Tiere der Antike beschrieben wurden. Qiu verwendet in seinen Werken eine ähnlich übertriebene Perspektive, um die Widersprüche und Konflikte der menschlichen Gesellschaft zu beschreiben, insbesondere im dritten Werk der Serie, in dem er die Mythen zum Ausdruck bringt, die das Internet den Menschen in der zukünftigen Informationsgesellschaft vermittelt, und damit die akzelerationistische Perspektive des Sinofuturismus zum Ausdruck bringt.
The Wandering Earth brachte den Akzelerationismus auf einen neuen Höhepunkt. Die meisten der im Film gezeigten Technologien – sogar die Planetentriebwerken – wurden von Wissenschaftlern gründlich durchgerechnet und auf ihre Machbarkeit hin überprüft. In The Wandering Earth 2, der im Jahr 2023 in die Kinos kommt, werden viele der coolen und fortschrittlichen Geräte sogar in kleinem Maßstab kommerzialisiert. Sogar der Regisseur Guo Fan sagte offen: „Ich befürchte, dass der dritte Film von The Wandering Earth kein Science-Fiction-Film mehr sein wird, sondern ein Dokumentarfilm, wenn er es nicht wagt, seine Fantasie mutiger einzusetzen. (PhoenixTV, 2023) Obwohl China nicht mehr erwartet, dass Science Fiction „im Geiste kommunistisch“ ist oder wissenschaftliche Funktionen erfüllt, stärkt es dennoch den ideologischen Rahmen des technologischen Fortschritts. The Wandering Earth versucht, an die Einheit der Länder des globalen Südens zu appellieren und Hegemonie durch Technologiefetischismus zu bekämpfen. Auch wenn das Ende vielleicht nicht ganz so optimistisch ausfällt, wie die Metapher des Films: „Der Aufwand, den menschlichen Geist zu entkolonialisieren, ist genauso groß wie der Aufwand, die Erde in ein anderes Sonnensystem zu bringen. (Khan, 2020) Sowohl der Sinofuturismus als auch der Afrofuturismus können aus der Perspektive der internationalen Politik als Global Southern Futurism klassifiziert werden. (Gao, 2017) Global-South-Futuristen nehmen eine nicht-westliche Perspektive auf die Zukunft, Science Fiction und spekulatives Design ein. Der Unterschied besteht darin, dass sich der Afrofuturismus mehr mit der Gestaltung der Zukunft beschäftigt, da die Geschichte Afrikas einst von weißen Kolonialherren absichtlich zerstört und ausgelöscht wurde. (Acuff, 2020) Und der chinesische Futurismus zieht es vor, die Zukunft als ein Spiegelbild der Geschichte zu betrachten – sei es der Seidenpunk, der aus dem chinesischen Futurismus hervorging, oder populäre Science-Fiction-Werke, Elemente und Anspielungen aus der chinesischen Geschichte werden verwendet. Die wiederholte Verwendung ist zu einem wichtigen Thema Etikett des chinesischen Futurismus geworden.
Die Entwicklungsgeschichte der chinesischen Science Fiction spiegelt in gewisser Weise den Wandel der chinesischen Gesellschaft und Ideologie wider: von der Sehnsucht nach dem Starken im Zeitalter der Kolonialisierung und Unterdrückung über eine positive Einstellung zur Integration in die Welt bis hin zum aktuellen Ruf nach einer entkolonialisierten Zukunft. Dies ist nicht nur das Ergebnis von Chinas Verständnis der Welt in den letzten 100 Jahren, sondern auch das Ergebnis eines neuen Selbstverständnisses.
Science Fiction und Krise in der Realität
Obwohl es sich bei „The Wandering Earth“ um einen Science-Fiction-Film handelt, hätte zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung niemand gedacht, dass er sich auch zu einem zukunftsweisenden Dokumentarfilm entwickeln würde. Nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Films brach weltweit eine Krise aus, die die menschliche Gesellschaft von Grund auf veränderte. Als ein Virus ohne Grenzen hat Covid-19 in nur zwei Monaten auf unerwartete Weise ein neues Gefühl der Globalisierung erreicht.
In The Wandering Earth geriet die Erde einst in eine Jupiter-Gravitationskrise, die zum Stillstand des planetaren Motors führte. Die UEG beschloss, Vollständige Rettung herbei zu führen und den Planeten um jeden Preis zu retten, und viele Menschen auf der ganzen Welt widmeten sich dieser dringenden Aufgabe. Tatsächlich wurde Wuhan, die Stadt, in der die ersten Fälle des Virus gemeldet wurden, unter Kontrolle gebracht, medizinische Teams aus ganz China reisten nach Hubei, um den Kampf gegen die Epidemie zu unterstützen, und Länder auf der ganzen Welt stellten China medizinische Hilfe zur Verfügung. Für viele junge Chinesen war es das erste Mal, dass sie eine echte „Vollständige Rettung“ erlebten. Die Leistung, das Virus auf dem chinesischen Festland in weniger als drei Monaten „auszurotten“, hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Die Dauer der Epidemie hat jedoch dazu geführt, dass die Öffentlichkeit der sensiblen Politik der chinesischen Regierung in Bezug auf das Virus überdrüssig geworden ist. Anfang 2022, im dritten Jahr der Epidemie, kam es auf dem chinesischen Festland zu sporadischen Protesten gegen die Epidemiepräventionspolitik, die in Shanghai begannen und das öffentliche Leben beeinflussten. Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt gegen Ende des Jahres, als ein Brand in Ürümqi die Wut der Einwohner über die Seuchenbekämpfungspolitik entfachte und zu gewalttätigen Demonstrationen und Märschen im ganzen Land führte.
Eine solche Szene wird auch von The Wandering Earth vorhergesagt. Viele Menschen, die vom „Wandering Earth Project“ betroffen sind, glauben fest daran, dass die Heliumblitze der Sonne ein Schwindel der Regierung sind, um die Menschen zu versklaven. Sie organisieren Demonstrationen und Unruhen, nehmen Wissenschaftler gefangen und exekutieren die jenignen, die sich für solare Heliumblitze einsetzten – aber in der Sekunde, in der die Wissenschaftler hingerichtet werden, bricht die Sonne mit Heliumblitzen aus.
Der Film bringt eine solche Sichtweise zum Ausdruck: Die wahre Krise liegt nicht in der enormen Schwerkraft des Jupiter und den Einschlägen von Asteroiden, sondern in den Menschen selbst. Der Film gibt auch eine Antwort auf die Krise: Wenn eine Krise droht, können sich die Menschen für kurze Zeit zusammenschließen. Dies erklärt zweifellos, warum die ganze Welt in den ersten Stadien der Epidemie zusammenarbeiten konnte, aber als die Epidemie andauerte, begannen die Länder auf der ganzen Welt, sich gegenseitig die Schuld zu geben, und einige Länder begannen sogar, die medizinische Versorgung anderer Länder zu stehlen.
Die Epidemie ist die Krise, die uns am nächsten ist, aber durch die Epidemie können wir immer noch die tiefgreifenden Auswirkungen des Kolonialismus auf die Gesellschaft spüren. Impfstoffe sind wieder einmal zu einem Mittel des Wettbewerbs und des Profits für die großen Länder geworden, und das Überleben und die Mutation der Viren in den Ländern des Südens wurden ignoriert, obwohl sie Opfer für die Forschung und Entwicklung von Impfstoffen gebracht haben. Dies hat den Impfnationalismus in den Ländern des Südens erheblich verstärkt (Fallah, 2022). Die Epidemie zeigt nicht nur das Fortbestehen des Nationalismus, sondern auch seine Verschärfung. (Ahmad und Kang, 2022) Der Aufstieg des Nationalismus wird zweifellos die Widersprüche und Konflikte in der menschlichen Gesellschaft verschärfen. Der Impfnationalismus untergräbt das Vertrauen zwischen den Ländern des Südens und des Nordens, was unweigerlich die Ungleichheiten in der vom westlichen Modell geleiteten globalen Entwicklung verschärfen wird (Fry, 2020), die in Zukunft komplexer und kontroverser werden wird.
In der Geschichte der Menschheit waren dies zweifellos die Momente, die zu wirklichen Krisen in der menschlichen Gesellschaft geführt haben. Die beiden Weltkriege haben unzählige Menschen unter sich begraben, die von Menschen entworfene und gebaute Atombombe hat den Weltuntergang heraufbeschworen und der amerikanisch-sowjetische Hegemonialkampf hat die ganze Welt in den Schatten des nuklearen Winters gehüllt. Im Moment blutet der russisch-ukrainische Krieg langsam aus der menschlichen Gesellschaft.
„Design in Crisis“ und zukünftige Entwicklung im östlichen Kontext
Chinas rasante Entwicklung festigt seinen Status als Großmacht. Die bemerkenswerten Leistungen Chinas in der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung haben dazu geführt, dass China Japan als Vertreter des „technologischen Orientalismus“ abgelöst hat. China lebt bereits in der Zukunft, kommt aus der Zukunft oder beschwört ein chinesisches Zukunftsmodell mit globalen Auswirkungen. (Seta, 2020) In diesem globalen wirtschaftlichen Abschwung wird die menschliche Gesellschaft durch Epidemien und Kriege an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. China hat das Recht und die Pflicht, sich zu erheben und die Energie der unterdrückten Menschen auf der ganzen Welt zu mobilisieren, um die menschliche Gesellschaft in eine bessere Welt zu führen.
Zurück zu The Wandering Earth: In diesem Film kann man einen viel tieferen Ausdruck des Planetarismus erkennen als in Gorath. Den Protagonisten dieses Films ist es fast nie gelungen, die Erde zu retten – sie scheiterten schon bei der ersten Rettung im Hangzho, und bei der letzten Mission war das Wissenschaftlerteam aus Israel schneller als sie. In der Nähe von Sulawesi gelang es zwei weiteren Rettungsteams aus aller Welt, ebenfalls vor ihnen, den triebwerken zu zünden. Wissenschaftler, Soldaten und Astronauten aus Ländern des globalen Südens erleben in diesen beiden Filmreihen wunderbare und unvergessliche Höhepunkte. Daniela Tassy, die Schauspielerin aus Brasilien, ist stolz darauf, eine brasilianische Astronautin zu spielen, die die Erde gerettet hat. Dieser Film durchbricht den westlichen Kontext, der die Macht des kulturellen Diskurses besitzt, und bringt den Kern des Planetismus auf den Punkt: wirklich alle einbeziehen und gegen die Spaltung, den Ausschluss, die Unterdrückung und den egozentrischen Konsum des Neoliberalismus anzugehen. Niemand ist ein Held, der die Welt rettet, aber jeder ist ein Held, der die Welt rettet.
Wenn wir beginnen, die Gesellschaft, mit der wir konfrontiert sind, neu zu untersuchen, sind wir uns immer noch der Existenz einer Krise bewusst, Neokolonialismus und Neoliberalismus sind immer noch vorherrschend und der globale Norden monopolisiert die Stimme des Internets und der Medien. Wir scheinen keine Möglichkeit zu haben, den etablierten Status quo der Gesellschaft zu durchbrechen und sind selbst in einem Informationskokon wie Huxleys „Schöne neue Welt“ verblendet. Erst wenn eine Krise von außen kommt, können wir die wirkliche Krise erkennen, die durch die Widersprüche der Menschen am Anfang der von äußeren Kräften zerrissenen Ecke verursacht wird.
The Wandering Earth ist ein schöner Film, er zeigt uns eine mögliche Krisenreaktion mit fernöstlicher Romantik. Viele werden den Film mit der alten chinesischen Legende 大禹治水„Wasserkontrolle von Dayu“ in Verbindung bringen. In der Geschichte von Yu erleben die alten Chinesen eine Krise, die auch in der Bibel erwähnt wird: die Wasserüberschwimmung. Im Gegensatz zum Westen entschieden sich die Chinesen nicht dafür, Fluchtboote zu bauen, sondern Dämme zu errichten und Flüsse zu graben, um die Überschwemmungen zu kontrollieren. Da Dayu damals der größte Held bei der Kontrolle der Fluten war, wurde er zum Herrscher gewählt und gründete die erste chinesische Familiendynastie „Xia“. Im Gegensatz zur Geschichte der europäischen Länder haben die fernöstlichen Länder, vertreten durch China, Japan und Südkorea, in ihrer Geschichte zwar Kriege erlebt, aber ihre Kultur wurde in einer kontinuierlichen Linie mit dem Wechsel der Dynastien weitergegeben. Während die Europäer die Krise aus einer zentralen Perspektive betrachten, neigen die Menschen im Osten eher dazu, die Probleme aus einer parallelen Perspektive zu betrachten. Dies könnte auch erklären, warum östliche Kulturen pragmatischer mit der Natur umgehen: Angesichts von Naturkrisen entscheiden sich die Menschen im Osten dafür, mit der Natur umzugehen, indem sie sie verändern. Sie glauben, dass ein Leben im Einklang mit der Natur nicht bedeutet, sie passiv hinzunehmen, sondern sie rationaler zu nutzen.
Dennoch müssen wir uns eines ernsten Problems bewusst sein: Science-Fiction mögen eine strahlende Zukunft versprechen, doch sind keine Realität. Die menschliche Gesellschaft ist oft komplexer und härter als die Welt des künstlerischen Schaffens. Wir müssen erkennen, dass Science Fiction ein romantischer Ausdruck von Eskapismus ist. Nur wenn wir die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit erkennen, können wir die Krise, in der wir uns heute befinden, besser verstehen. Dies wird uns auch zu einer tieferen Frage führen: Wie können wir die Barrieren der Vielfalt überwinden, eine gemeinsame Basis finden, aber die Unterschiede bewahren und die menschliche Gesellschaft in eine bessere Zukunft führen?
Literatur
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