Future School – Wie sehen die Schulen für Morgen aus?

„Der Zeitgeist irrt immer.“ 

Robert Jungk

„Lernen muss sich substanziell, tiefgreifend und radikal verändern. Es braucht eine Kultur der Potenzialentfaltung und eine Vision“ Margret Rasfeld (Begründerin von Schulen im Aufbruch) Mit Schüler:innen der International School näherten wir uns im Schulhalbjahr 2020/21 anhand diverser Methoden der Beantwortung der Frage: „Wie sieht in Zeiten von Digitalisierung, Klimawandel und Pandemie eine zukunftsfähige Schule aus?“ Eine Schule, die in der Lage ist Heranwachsende auf eine unsichere Zukunft mit disruptiven Umbrüchen vorzubereiten, die sie handlungsfähig und resilient macht, und an der sie sich selbstwirksam erleben und entfalten können. Kinder lösen Probleme kreativer als Erwachsende. Mein Konzept sah vor, dass die Kinder die Möglichkeit hatten sich anhand von Fantasiegeschichten auseinanderzusetzen, wie sie sich Schule jetzt und zukünftig vorstellen und wünschen. Im partizipativen Unterrichtsgeschehen wurden Zukunftskompetenzen erfahrbar, indem die Schüler:innen kritisch denken, Probleme eigenständig lösen und miteinander kollaborieren. Herausgekommen ist ein Schulentwurf aus Sicht der Kinder.

Schulentwurf

Die Generation, die unsere Zukunft gestalten wird, verbringt die entscheidenden Jahre ihrer Kindheit und Jugend in einem Schulsystem, das sich auf Denkmustern des letzten Jahrhunderts gründet. Das Leben ist wesentlich komplexer, als es sich anhand von Textaufgaben darstellen lässt. Es muss frustrierend sein, in diesem System, in dem Potenziale aufgrund von Normen beschränkt oder eingestampft werden, aufzuwachsen. 

Neben den bereits aufgeführten Schulen ist die Summerhill School eine inspirierende Schule, die als Grundlage für meinen eigenen Schulentwurf dient.

„Die Aufgabe eines Kindes ist es, sein eigenes Leben zu leben – weder das Leben, das seine ängstlichen Eltern für richtig halten, noch ein Leben, das sich nach dem Ziel eines Erziehers richtet, der glaubt, es am besten zu wissen.“ 

Summerhill Begründer Pädagoge Alexander Sutherland Neill

1921 wurde die Summerhill Schule vom Pädagogen Alexander Sutherland Neill gegründet. Von ihm stammt auch das Buch „Die grüne Wolke“ (orig. The last man alive, 1938), welches mich für meine zweite Phantasiereise inspiriert hatte. 

Sein erzieherisches Prinzip war, dass die Autorität von Erwachsenden verschwinden soll und die Kinder in ihrer Entwicklung möglichst viele Freiheiten haben. Das geht natürlich nicht komplett ohne Regeln. Es  setzt sowohl eine Selbstverwaltung als auch selbstbestimmtes Lernen voraus. Diese, sowie weitere Vorschriften zur Sicherheit, Gesundheit und Ordnung des Lebens, werden gemeinsam in der wöchentlichen Schulversammlung diskutiert, beschlossen und ggf. wieder aufgehoben. Lehrkräfte und Schüler:innen sind gleichermaßen stimmberechtigt. Summerhill vertrat die Meinung, dass jedes Kind lernen möchte, und bis heute noch ist die Teilnahme am Unterricht freiwillig, damit die Lernatmosphäre angenehm und effektiv ist. Diese Ansicht teilt auch der Bildungsforscher und Autor Stephan A. Jansen. Insbesondere Universitäten mit Anwesenheitspflicht beleidigen seiner Ansicht nach die Intelligenz der Studierenden, indem sie diese zwingen, zu Vorlesungen zu kommen. Auch bei mir regte sich bei Anwesenheitspflicht Widerstand, weil ich die Begegnung zwischen dem oder der Lehrenden und mir als Studierender als nicht gleichwertig empfand.

Vertrauen auf Basis zwischenmenschlicher Beziehungen herzustellen, erscheint mir wichtiger als ein Zwang, sich Pflichten und Normen fügen und unterordnen zu müssen. Es spricht für die Qualität der Lehre, wenn Studierende und Schüler:innen gern und freiwillig kommen.

Die Alemannenschule in Wütöschingen bietet Lerntage zu Hause an. Das Kind kann in Absprache selbst bestimmen, ob es in der Schule oder zu Hause seine Aufgaben selbstständig bearbeitet. Bei Fragen und Unstimmigkeiten sind die Lernbegleiter:innen via Videokonferenz erreichbar. Dies sollte an allen Schulen ab Klasse 5 möglich sein. In den Zeiten der Pandemie hat sich insbesondere in meinem unmittelbaren Umfeld gezeigt, dass sich einige Kinder, zumindest was den direkten Vergleich mit ihren Klassenkamerad:innen während des Unterrichts und/oder in halbierten Klassen betraf, im häuslichen Umfeld wesentlich wohler fühlten. 

An der Summerhill School gibt es keine Zensuren und Prüfungen, ebenso wenig Hausaufgaben. 

Zeugnisse sind für viele Kinder ein Schwarz-auf-weiß-Beweis, für den sie mitunter Scham empfinden, wenn ihre Leistungen den Erwartungen der Eltern nicht entsprechen oder wofür sie Lob, Anerkennung und bestenfalls Geld oder Geschenke erhalten.

In der Nachmittagsgruppe meines Sohnes war es üblich, dass die Kinder im Sitzkreis den Erzieher:innen und anderen Kindern ihre Zeugnisse zeigten. Mein Sohn lehnte dies ab und berief sich auf seine „Privatsphäre“. Er stieß jedoch auf wenig Verständnis. Ihm wurde entgegnet, dass es nur Süßigkeiten für ihn gäbe, wenn er sein Zeugnis zeige.

Ich plädiere für die Abschaffung von Ziffernnoten. Statt halbjähriger Zeugnisse sollte es wöchentlich wiederkehrende Feedbackgespräche, die schriftlich festgehalten und Lernziele, die besprochen werden, geben. Diese können dann quartalsweise zu Rate gezogen werden, um einen Überblick über den eigenen Entwicklungsstand zu erhalten. Ein Vergleich und eine damit verbundene Gleichmachung mit anderen Schüler:innen ist somit überflüssig. Viel wichtiger erachte ich, dass Kompetenzen entwickelt werden, um selbst gesetzte Ziele zu erreichen und Rücksprache halten zu können, wenn es auf dem Weg dorthin holpert.

Regelmäßige Rückmeldungen motivieren, ermöglichen Weiterentwicklung und geben Raum, Probleme zu lösen. Diese Gespräche sollten nicht nur zwischen Lernbegleitenden und Lernenden stattfinden, sondern untereinander im direkten Umfeld. Ebenso sollten auch Lehrkräfte ein Feedback erhalten. Eine Idee ist, sich eine:n Feedback-Buddy zu suchen, um sich regelmäßig konstruktives Feedback zu geben.

Leitfragen zum Austausch könnten sein:

  • Wie fühle ich mich aktuell in der Schule?
  • Wie läuft es im Klassen-/Schulkontext?
  • Was lief gut? Was bereitet mir Freude?
  • Worin brauche ich Unterstützung?
  • Was möchte ich lernen?

In meiner Schule sind Lehrende und Lernende nicht voneinander zu trennen. Die Begegnungen sind auf Augenhöhe, und alle lernen von- und miteinander.

Das bedeutet, die lehrende Person wird nicht als Lehrer:in gesehen, die frontal Wissen an die Teilnehmenden vermittelt, sondern involviert in „facilitation of personal development, deepening and broadening relational ways of being in the world, the creator of collaborative capacities, community building, and the psychosocial evolution of our species.“

Es geht darum, Organisationen wie Schulen resilient und damit zukunftsfähig zu machen. Dafür müssen diejenigen sensibilisiert werden, die von der Zukunft am meisten betroffen sind: Kinder und Heranwachsende, aber auch weitere Akteur:innen, die im Kontext Schule und Bildung wirken. Neue Entwürfe zu schaffen hilft Pfadabhängigkeiten zu verlassen. Mit Kreativität und mit der entwickelten Feinfühligkeit die auftauchende Zukunft zu erspüren und wahrzumachen, bedeutet, mit gutem Beispiel voranzugehen. Dieses proaktive Handeln gelingt am besten gemeinsam mit vielen Köpfen und Händen.

Schule sollte als ein System verstanden werden, in dem eine intelligente und nachhaltige Vernetzung stattfindet, sowohl zwischen Technik als auch und vor allem zwischen Menschen. Dafür muss sich Schule als Institution zum einen nach außen öffnen und zum anderen intern besser kollaborieren. Vernetzung versteht sich dabei nicht nur auf rein technischer Ebene, sondern vielmehr durch den Aufbau eines Ökosystems, welches im Rahmen verschiedener Systemkomponenten dem Bildungs-Vierklang aus Infrastruktur, Mensch, Inhalt und Rolle der Schule an sich gerecht werden muss.4

In meiner persönlichen „Future School“ sind nicht nur Lehrkräfte und Schüler:innen, sondern diverse Menschen aus allen Lebensbereichen vertreten. Lernen findet nicht nur im Schulgebäude statt, sondern vor allem in der Natur und „in der Welt da draußen“. Es gibt zahlreiche Menschen mit handwerklichem, künstlerischem und kreativem Geschick. Es wird gewerkelt und gebaut, gegärtnert, gemalt, gebastelt, repariert, gesungen, getanzt, ko-kreiert, kollaboriert, partizipiert und experimentiert. Ähnlich wie an der Green School in Bali lernen die Kinder anhand konkreter Projekte, die sie analog auf weitere Lebensbereiche anwenden können. Das Fach Verantwortung sowie Herausforderung, wie an der Evangelischen Schule Berlin Mitte, stehen auf dem Lernplan, um sich ökologischen und sozialen Aufgaben im Gemeinwesen zu widmen. Frontalunterricht im 90-Minutentakt in Klassenräumen, die wie vor 100 Jahren aussehen, gibt es nicht mehr. Vielmehr gibt es großzügige, lichtdurchflutete Räume, ein riesiges Foyer, in dem Menschen ankommen und sich begegnen können, Rückzugsorte, eine Biblio- und Mediathek, und neben Medienräumen überall im Gebäude WLAN und Steckdosen. Jede:r Schüler:in verfügt, wenn benötigt, über ein Tablet oder Notebook oder kann sich eins ausleihen. Es gibt einen Garten, der bewirtschaftet wird, eine Cafeteria, in die alle Menschen eingeladen sind. Die Schüler:innen backen und kochen selbst. Sie malen, basteln und werken und bieten ihre Produkte an. Auch weitere Dienstleistungen gehören zu ihrer Angebotspalette, wie z. B. IT-Support für Rentner:innen und ein Repair-Café, die regelmäßig stattfinden. In diesem Rahmen lernen sie Entrepreneurship und Care-Tätigkeiten. Die freiwilligen Einnahmen daraus fließen der Schulgemeinschaft zugute.

An meiner „Future School“ gibt es einen offenen Anfang. Die Schule ist ganztägig geöffnet, und die Schüler:innen finden sich bis 09:00 Uhr ein. Zudem gibt es die Möglichkeit, am Nachmittag zu kommen. Dies gilt gleichermaßen für Lernbegleiter:innen. Um Absprachen zu terminieren, können Slots und Räume online gebucht werden. 

Welche Kompetenzen brauchen Schüler:innen heutzutage?

Menschen benötigen heutzutage „Technoliteracy fundamentales“, also ein Technologieverständnis, um in dieser Welt zurechtzukommen. Dies ist vergleichbar als eine Art Kulturtechnik wie Lesen. Das bedeutet nicht, jedes Buch gelesen zu haben, sondern zu wissen, wie es geht.

„Learning is productive failing“. 

Manuel Dolderer, Gründer und Präsident der CODE University of Applied science

Es braucht eine Veränderung des Mindsets. Statt zu sagen: „Ich bin nicht gut in Mathematik“ sollte lieber die Formulierung, dass man es noch nicht so gut kann, gebraucht werden. Niederlagen sollten nicht als persönliches Scheitern betrachtet werden.

Hier ein Beispiel:

Das Thema „Nachrichten“ kann anhand von Arbeitsblättern und Schulbüchern bearbeitet werden. Diese werden dann individuell bewertet. 

Nun könnte man ebenso mit den Schüler:innen eine Nachrichten-Redaktion besuchen, um mit den Redakteur:innen vor Ort zu sprechen und die Abläufe von den Jugendlichen beobachten und dokumentieren, sowie in einem Ergebnisplakat präsentieren zu lassen. Das wäre ein reformpädagogischer Ansatz.

Ein konstruktivistischer Ansatz wäre, die Jugendlichen eine eigene Nachrichtensendung realisieren zu lassen. Durch den gemeinsamen Austausch an Informationen und die Kommunikation entsteht ein konnektivistischer Ansatz. Nun könnte man behaupten, dass dies viel Zeit bindet, doch was Kinder und Jugendliche beim konstruktivistischen Ansatz lernen, ist wesentlich nachhaltiger und ergiebiger, als Arbeitsblätter auszufüllen, Klausuren zu schreiben und zu korrigieren. Dies bestätigen auch Antonius und Philipp durch ihren Besuch der Green School auf Bali.

In diesem Zuge ließe sich das Kerncurriculum reduzieren, und komplexe Themenbereiche können lebensnah und -echt miteinander verknüpft werden.

Ein weiteres Beispiel gebe ich aus meinem Musikunterricht: Wir haben gemeinsam als Klasse ein Lied aus den aktuellen Charts eingeübt, welches auf dem Sommerfest aufgeführt wurde. Jede:r spielte ein Instrument. Das war eine wertvolle Erfahrung, gemeinschaftlich als Klasse zu üben, sich miteinander abzustimmen und aufeinander Rücksicht zu nehmen.

Schule eignet sich insofern, dass dort gemeinsam in Beziehungskontexten gelernt wird, indem Schüler:innen gemeinsam etwas erleben, erfahren, versuchen, erarbeiten, diskutieren, ausprobieren, erfinden, erproben. Ausgangspunkt von Diskussionen sind Themenbereiche, die Kinder und Jugendliche persönlich interessieren und mit denen sie in einer besonderen Verbindung stehen.

Ich stelle mir eine Schule vor, in der zu Schuljahresbeginn partizipativ Themenfelder gesammelt werden, über die in der Gemeinschaft der Schüler:innen und der weiteren Akteur:innen im direkten und indirekten Umfeld abgestimmt werden kann. Dazu darf auch auf regionale Besonderheiten eingegangen werden. Es sollten demokratische Grundwerte zugrunde liegen. Auf einer Liste der vorstellbaren Möglichkeiten wird über diese Ideen abgestimmt und diese in größeren Projekten umgesetzt. Unabhängig davon kann auch jede:r Schüler:in ein eigenes Projekt verfolgen. Ein transdisziplinärer Austausch sollte möglich sein.

Der Schulalltag läuft bestenfalls beteiligungsorientiert und projektbasiert ab. Ansprechend finde ich die Vorstellung, eine Schule bottom-up entstehen zu lassen. Das bedeutet, die Kinder und Jugendlichen, die dort zur Schule gehen (werden), von Anfang an zu beteiligen, ihre Ideen und Vorschläge anzuhören und gemeinsam umzusetzen 

Nun könnte man sich fragen, ob Lehrkräfte in Zeiten von KI nicht überflüssig werden? Meines Erachtens nicht. Dennoch verändert sich ihre Rolle im Kontext Schule und Lernen. Indem eine Beziehungs- und Verantwortungskultur etabliert wird, fungieren sie mehr als Coach, Lernbegleiter:in, Ermutiger:in, Bestärker:in oder als Leuchtturmwärter:innen, die über eine demütig Haltung verfügen und Schüler:innen auf Augenhöhe begegnen. Denn auch sie entwickeln sich gemeinsam mit den Schüler:innen weiter. Lernen hört nicht nach dem Schulabschluss oder Referendariat auf, sondern erfolgt lebenslang.

Lehrkräfte sollten die Neugierde der Lernenden bestärken und dabei unterstützen, Widerstände zu überwinden, indem sie Themen in einen komplexeren Zusammenhang setzen können. Wissen ist heutzutage individuell und situativ. Sie müssen nicht alles Wissen beherrschen, sondern vielmehr eine Außenperspektive anbieten, um der Frage „Why should I care?“ auf den Grund gehen zu können. Ähnlich, wie wir es von unseren Dozent:innen im Transformation Design gewohnt sind.

Jack Ma, der Begründer von Alibaba, appelliert, dass wir Kindern all das beibringen mögen, was sie von KI unterscheidet: Werte, Überzeugungen, unabhängiges Denken, statt Reproduzierung überholten Wissens. Seiner Auffassung nach sollen Kinder lernen, wie sie gut für sich und andere sorgen und möglichst viel Sport treiben, musizieren und malen.

Stephan A. Jansen ermutigt Schulleiter:innen und Schulakteur:innen zu brauchbarer Illegalität, die mutig ausprobieren und hinterher behaupten: „Oh, ich wusste gar nicht, dass wir das nicht durften, aber schaut mal, wie gut es funktioniert!“ Schulen sind Reallabore, in denen transformativ experimentiert werden darf mit einer wertschätzenden und demokratischen Führung, die mit einer Fehlerkultur einhergeht.

Waldorf- und Montessorischulen habe ich in meine Recherche nicht näher mit einbezogen, obwohl ich durchaus das pädagogische Konzept von Montessori schätze. Der anthroposophischen Menschenkunde Rudolf Steiners stehe ich überaus kritisch gegenüber, respektive lehne sie überwiegend ab.

Der Gestaltung der Räumlichkeiten, der verwendeten Materialien sowie den Ritualen kann ich durchaus etwas abgewinnen, dennoch ist mir persönlich das Umfeld aus Waldorfschulen suspekt und, insbesondere in der Corona-Pandemie, weit entfernt von meinem entwickelten Weltbild.

Dennoch gibt es Parallelen zu meinem Schulentwurf. Künstlerische und handwerkliche Fächer haben einen höheren Stellenwert, als an vielen anderen staatlichen oder privaten Schulen sowie an Montessori Schulen.

Ebenso wird auf Lehrbücher verzichtet, worauf ich bereits in meinem Gespräch mit einer befreundeten Lehrerin Stellung beziehe. Durch die Reproduktion veralteten Wissens laufen wir Gefahr, Vorurteile und Stereotype aufrecht zu erhalten: Wie ich neulich im Werte und Normen Buch meines Sohnes las: „Mädchen sind zickig, und Jungs müssen stark sein“. Wie wäre es mit einem Geschichtsbuch, in dem nicht nur von Krieg die Rede ist, sondern auch von Frieden? Sprache hat einen immensen Einfluss auf unser Weltbild. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Anzahl der erzählten Geschichten erhöhen, um Missverständnisse zu vermeiden, wie die Schriftstellerin Chimamanda Adichie im TED Talk „The danger of a single story“ erzählt. Und ebenso sollten wir uns nicht nur auf Heldengeschichten stürzen, sondern authentisch und holistisch aus unserem Leben berichten: Mutige Geschichten des Scheiterns und des Gelingens erzählen. Wichtiger als das Resultat dabei ist der Weg, wie wir dorthin gekommen sind. Was hat uns dabei motiviert und angetrieben?

„We must understand that education builds up societies and for any nation to be succesfull and substainable in the future. We must understand the nature of education and its role in individuals life as well in societies. We can create our future. Education is the most powerful. It makes the difference how our values the way we teach it will reflect the future society in 10-20 years.“

Marjo Kyllönen, Leiterin Schulbehörde in Helsinki

Die Fähigkeit, unser Verhältnis zu uns selbst, zu den anderen und zu den Dingen aufzulösen, es neu zu definieren und zu gestalten, ist nicht nur für die einzelne Person, sondern auch für die Gemeinschaft, die ganze Gesellschaft lebenswichtig. In Ermangelung von Alternativen bleiben wir manchmal in unseren Paradigmen gefangen. Deshalb braucht es Schulen und Studiengänge, die dem Transformation Design ähneln, die visionär und prophetisch neue Narrative und Paradigmen gemeinsam mit anderen (er-)schaffen.

Magret Rasfeld, die Initiatorin der Initivative „Schulen im Aufbruch“ und ehemalige Leiterin der Evangelischen Schule Berlin Mitte beantwortet die Frage: „Wie sieht die Zukunft aus?“, folgendermaßen:

Bildungslandschaften laden zu lebenslangem Lernen ein: Selbstbestimmt, interessensgeleitet, kooperativ. Unterstützt durch Lernbegleiter:innen. In offenen Häusern, Werkstätten, Meditationsräumen, auf dem Acker, im Wald, im Museum, an heiligen Orten. 

Zentrale Bildungsziele sind Potentialentfaltung und Werteorientierung, orientiert an den Menschen-, Kinder- und Naturrechten.

Die Arbeit wird ökologisch und sozial gerecht sein, fair verteilt und unter würdigen Bedingungen – weltweit. Die Care-Arbeit für Mensch und Planet wird im Zentrum stehen. 

Mit Enterpreneurship-Spirit finden wir Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen; Menschen bringen ihre Gaben und Herzensthemen ein und verbinden diese sinnstiftend mit den gesellschaftlichen Herausforderungen. New Work im Sinne von Frithjof Bergmann ist weitesgehend realisiert und verdrängt lebensfeindliche Systeme.

Sie spricht von einem tiefen Haltungs- und Bewusstseinswandel und setzt sich mit ihrer Initiative „Schulen im Aufbruch“ für die Transformation des Bildungssystems ein. Ihres Erachtens nach bereitet dies auf die oben beschriebenen Zukunftshaltungen nicht nur unzureichend vor, sondern der Lernplan hält sogar davon ab, indem er an alten Mustern und Normierungen und übervollen Stoffplänen, Selektion, Konkurrenz, Vergleich, Einzelbewertungen, Noten und Rankings als Instrumente des Wettbewerbs und der Optimierungsgesellschaft festhält.

Sie selbst setzt sich für die Umsetzung des „FREIDAY“ ein, einem Tag in der Woche, an dem die Kinder lernen, die Welt zu verändern, indem sie Themen (Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Feminismus etc.) einbringen und sich in Interessengruppen zusammenschließen. Diese können in Kollaboration mit anderen Institutionen, der Gemeinde oder der Stadt durchgeführt werden. Damit lernen Schüler:innen, dass das, was sie jeden Tag tun, Einfluss auf die Welt hat. Das erinnert stark an unsere Projekte im Transformation Design. Hierbei werden Möglichkeitsräume eröffnet, um zu experimentieren, ihre Expertise mit einzubringen und Ideen in die Tat umzusetzen. Dabei sollen sie sich selbstwirksam und als verantwortliche Mitglieder ihrer Schule und in der Gesellschaft wahrnehmen und erleben.  Ein ähnliches Projekt bietet das „Make your school“, ein Hackday, an dem sich Schüler:innen darin üben, sich eigenständig und selbstbestimmt digitale Kompetenzen und kollaborative Zusammenarbeit anzueignen.


Als gefährlich erachte ich, dass ein:e Pädagog:in an einer Waldorfschule als „Präsentator:in der Welt“ betrachtet wird und als „Erkennende:r in der Lage ist, das jeweils Richtige an das Kind heranzutragen“. Das halte ich für zutiefst manipulativ, da ich hinterfrage, worin dieser Mensch sein Weltbild begründet hat. Es nimmt dem Kind auch seine eigene Kompetenz und Wahrnehmung.

Grundsätzlich erachte ich es als wertvoll und sicher, dass Bildung einer gewissen staatlichen Kontrolle unterliegt, damit eben Personen, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten, keine Werte und Weltbilder vermitteln, die rassistisch, anti-feministisch, diskriminierend und intolerant sind.

Die Philosophie von Maria Montessori, „Hilf mir, es selbst zu tun“, stellt die Individualität des Kindes mehr in den Mittelpunkt. Traditionelle Standards sind weitestgehend unerwünscht, damit Kinder frei lernen können. Dies schließt auch mit ein, dass diese weder gelobt noch gestraft werden sollen, damit sie intrinsisch motiviert lernen.

Dennoch bieten Pädagog:innen Materialien an, wenn sie der Ansicht sind, dass es das Kind interessieren könnte. Eine weitere Herausforderung für die Lehrkraft ist, sich und die eigenen Interessen zurückzunehmen und sich mehr mit der beobachtenden Rolle zu begnügen. Ich erachte es als wichtig, Kinder nicht als unfertige Erwachsene zu behandeln, die bevormundet oder entmündigt werden. Dies bezieht ein kritisches Verhältnis zu Macht mit ein, indem es häufig als normal erachtet wird, dass es nur „oben“ und „unten“ gibt, und dass es erstrebenswert ist, „oben“ zu sein. In gewissen Lebensbereichen erachte ich es als erforderlich, Kinder zu beschützen und sie auch nicht mit unbegrenzten Möglichkeiten zu überfordern, dennoch lohnt es sich zu hinterfragen, inwiefern ich positives Verhaltens des Kindes mit meinem Lob bestärken möchte und unerwünschtes bestrafe.

 The best advice I can give a 15-year-old is: don’t rely on the adults too much. Most of them mean well, but they just don’t understand the world.

Yuval Noah Harari, in: Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen, 2017

Um Kinder und Jugendliche zu begleiten, brauchen wir als Erwachsende auch menschenwürdige Lebensverhältnisse. Dazu zählen Grundbedürfnisse wie saubere Luft und sauberes Wasser, ebenso wie die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen und zu wertzuschätzen. Dies setzt eine gewisse Bereitschaft zur Selbstreflexion voraus. Durch meine Erfahrung mit dem AVE-Institut hat sich meine Ansicht bestärkt, dass wir mit gutem Beispiel voran gehen, wenn wir uns selbst gut umsorgen. „Safety first“ könnte auch so verstanden werden, dass ich mich erst einmal selbst gut behandele und versorge, so dass andere mein selbstfürsorgliches Verhalten imitieren. Lehrkräfte zeigen sich dadurch menschlich und nahbar ohne Gesichtsverlust, indem sie authentisch sind. Dieses Verhalten bestärkt Kinder und Jugendliche, sich selbst anzuerkennen und zu sich zu stehen.

Montessori Pädagogik konzentriert sich vermehrt auf Bedürfnisse, Talente und Begabungen des einzelnen Kindes und geht davon aus, dass Kinder in ihrem eigenen Rhythmus und auf ihre eigene Art lernen. Dies erfordert eine hohe Selbstständigkeit vom Kind, welche ihm durchaus zuzutrauen ist.

Die Grenze des Kindes muss als Grenze das Gemeinwohl haben. „Freiheit so viel wie möglich. Grenzen so viel wie nötig.“ finden sich bei Montessori wieder. Die Bindung in die Gemeinschaft soll als wichtiger Lernfaktor berücksichtigt werden.

Als wichtig erachte ich, dass Kinder sich beschützt und sicher fühlen. Dies sollten sie idealerweise im Elternhaus und zusätzlich im Rahmen von Schule erleben. Dies gilt insbesondere in Phasen der Transformation, also der Pubertät, wo sie zum Teil tiefe Verunsicherungen spüren und sich mehr denn je nach Zugehörigkeit und Anerkennung sehnen und als unabhängige Persönlichkeiten anerkannt werden möchten. Sie in dieser Phase zu bestärken, gibt ihnen Stabilität und kann dazu führen, dass sie selbst soziale Verantwortung übernehmen. 

Ich glaube, es ist an der Zeit, Wissen über den Haufen zu werfen, statt es anzuhäufen. Was mich nicht interessiert, vergesse ich. Wissen ist fast überall abrufbar, heutzutage sind Kompetenzen mehr denn je gefragt. Im Unterrichtsgeschehen muss es sich viel mehr um die Qualität der Fragen drehen, statt um die Quantität der Antworten.15 Jetzt mal Hand aufs Herz: Welche:r Schüler:in lernt wirklich fürs Leben und nicht für die Noten? Wichtiger finde ich, mehr und mehr von der Welt zu verstehen und Neues zu entdecken, vielleicht sogar Neues zu erfinden und in die Welt zu bringen. Und dieses Wissen geht einher mit dem Sammeln von Erfahrungen. Frei nach dem Film „Good Will Hunting“ hilft alles Wissen nicht ohne die Erlebnisse, die dahinter stehen. Ich wünsche mir Kinder, die vor allem in Herzensbildung reifen, und dazu müssen Kinder mutig in die Welt ziehen, ähnlich wie Greta Thunberg und der dadurch entstandenen „Friday for Future“ Bewegung.

In Eriksminde auf der Efterskole in Ostdänemark verbringen Schüler:innen zwischen der achten und zehnten Klasse ein Austauschjahr im eigenen Land. Diese Schulen bieten Töpfern, Schneidern, Wandern, Boxen, Podcastproduction, … und Schmieden an. Die Jugendlichen können sich ohne Leistungsdruck und Gruppenzwang ausprobieren und erfahren, wie demokratisches Zusammenleben funktioniert. Das Grundprinzip basiert auf Vertrauen. Bei Regelverstößen wird im Plenum gemeinsam nach einer Lösung gesucht.

 The problem is not simply individual stupidity, but the phenomenon of a risk-illiterate society. Literacy— the ability to read and write— is the lifeblood of an informed citizenship in a democracy. But knowing how to read and write isn’t enough. Risk literacy is the basic knowledge required to deal with a modern technological society.

Gerd Gigerenzer, Psychologe, in: Risk Savy

Schule soll auf das Leben vorbereiten, und zum großen Teil können wir nur erahnen, wie das Leben, unsere Gesellschaft und Umwelt, sich in den nächsten Jahren verändern und gestalten werden. Es wird disruptive Umbrüche geben und auch Ereignisse, die keine:r voraussehen konnte. Im positiven wie negativen Sinne. Zukunftsforschung zielt aufgrund begrenzter Prognosemöglichkeiten weniger auf Vorhersagen ab. 

Statt so weiterzumachen wie bisher, brauchen Kinder und Jugendliche unbedingt Fähigkeiten, die sie auf eine unsichere Zukunft vorbereiten, die sie resilient im Sinne von widerstandsfähig und flexibel und somit anpassungsfähig machen. Sie sollen sich ihrer eigenen Talente, Stärken und Potenziale bewusst werden und sein. Lernen, wie man mit Diversität und Komplexität umgeht, ist von großer Wichtigkeit. Dazu braucht es übergreifende Projekte mit diversen Menschen, an denen sie wachsen und sich zukunftsorientiert weiterentwickeln können.

Masterarbeit von Anja Frasunkiewicz anja.frasunkiewicz@gmail.com
Betreut wurde die Arbeit von Dr. Andrea Vetter und Prof. Dr. Stephan Rammler

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