brand eins Konferenz 2017: So geht Zukunft.

Ein Erfahrungsbericht.

Die alljährliche Konferenz des Wirtschaftsmagazins brand eins fand dieses Jahr am 18. Mai inm Hamburg/Hafencity statt. Durch einen glücklichen Zufall konnte ich eine Karte zum ausverkauften Event ergattern und war somit eingeladen. Ich machte mich deshalb am Morgen gegen 7 Uhr auf den Weg von Braunschweig nach Hamburg, um teilzunehmen.

Das Dachthema der Konferenz war Wandlungsfähigkeit – von Unternehmen, der Gesellschaft, aber auch auf persönlicher Ebene. Die zentrale Fragestellung war hierbei die nach den Voraussetzungen für Wandlungsfähigkeit: nämlich was wir brauchen, um in Bewegung zu kommen und vor allem zu bleiben. Um den Keynotes und Workshops rund um diesen Themenkomplex beizuwohnen hat sich eine Großzahl von Teilnehmern – vornehmlich Vertreter aus der freien Wirtschaft – auf den Weg nach Hamburg gemacht.

Das Event fand im Automuseum Prototyp nahe der Speicherstadt statt. Ein buntes Catering sowie das offene, angenehme Ambiente im Innen- und Außenbereich der Location war den ziemlich üppigen Ticketpreisen absolut angemessen: Die Gäste waren bester Laune und wurden herzlich von ihren Gastgebern empfangen sowie vorbildlich kulinarisch versorgt. Als zusätzliche Überraschung gab es außerdem die Möglichkeit, an aktuellen Innovationen der Start-Up-Szene teilzuhaben. Hier konnte man beispielsweise den motorisch unterstützten Elektroscooter der Firma EGRET probefahren oder das progressive Projekt Calliope von Gesche Joost sehen, dass sich mit einem eigens entwickelten Microcomputer dafür einsetzt, SchülerInnen spielerisch fürs Coding zu begeistern. Das innovative Kühlsystem namens COOLAR , das gänzlich ohne Elektrizität auskommt, und der elektronisch unterstützte Fahrradanhänger Nuwiel waren ebenso präsent.

Als Vortragende zum Schwerpunkt Gesellschaft machten Kai Michel (Journalist, Historiker und Literaturwissenschaftler), Georg Cremer (Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes) und Ulrike Ackermann vom Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung den Anfang der Keynotereihe. Das Thema „gesellschaftlicher Wandel“ wurde hierbei aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet – Welche Parallelen hat das Alte Testament und die Vertreibung von Adam und Eva zum aktuellen Zeitgeschehen? Ist der Markt eine Art Dauerkrise, die uns immer wieder zu Innovationen und Wandlung zwingt? Ist unsere Gesellschaft noch artgerecht, ist unsere Spezies zu langsam für die hohe Geschwindigkeit der Veränderungen geworden?

Wie gehen wir außerdem mit Armut und sozialen Unterschieden um, und welchen Stellenwert hat Freiheit in unserer Gesellschaft und in Zukunft? Georg Cremer plädiert für eine Politik der Armutsprävention, die Selbstverwirklichung unterstützt. Er sieht Probleme beim Sozialstaat an sich, der sich oftmals bürokratisch selbst im Weg steht, und damit eine Kultur der Kooperation erschwert. Auch die Einsicht, dass die Armutssituation in Deutschland sehr subjektiv wahrgenommen wird, und trotz einer weniger besorgniserregenden Situation das persönliche Empfinden ein anderes ist. Die Suggestion, der Sozialstaat sei in Gefahr, führe zu einer Panik der gesellschaftlichen Mitte und damit zur Lähmung und zum Verlust von Mitstreitern, die proaktiv gegen Armut kämpfen. Weiterhin vertrat er die Ansicht,. dass Postwachstum nur gelingen könne, wenn das Versprechen von Wachstum von ökonomischen Parametern losgelöst werden würde.

Für mich war der darauf folgende Vortrag von Ulrike Ackermann ein wichtiger Impuls, war er doch ein Plädoyer für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung im demokratischen Miteinander unserer Gesellschaft mit dem Hinweis auf die nötige proaktive Mitarbeit aller, wenn es denn so bleiben soll. Laut ihrer Statistik misstrauen 70% der jungen Europäer der Politik – bei solchen Zahlen schleicht sich bei mir ein ungutes Gefühl ein. Zeit also, sich für die eigene Freiheit zu engagieren und auch politisch Stellung zu beziehen.

Der zweite Themenschwerpunkt behandelte die Frage nach der Wandlungsfähigkeit in Unternehmen. Peter Jaeger, seines Zeichens Mitglied der Geschäftsführung bei Microsoft Deutschland, berichtete hierbei von aktuellen Transformationsprozessen innerhalb der Firmenkultur. Mit einer neuen Zentrale in München geht die Firma neue, vom Silicon Valley inspirierte Wege. So werden beim Bau der Firmenzentrale die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen an ihren Arbeitsplatz von Beginn an mit berücksichtigt sowie neue Formen der modernen Arbeit bewusst begünstigt. Telearbeit von überall oder freie Zeiteinteilung der MitarbeiterInnen sollen als Vertrauensbeweis der Geschäftsführung und dem bewussten Umgang mit Selbstorganisation in gemischten Teams gleichermaßen gelebt und möglich gemacht werden. Chefs werden hierbei zu Coaches. Ziele werden besprochen und kollektiv geplant und angestrebt, die Mitarbeiter schaffen sich also ihre eigene Messlatte, nach der Ihre Leistung schließlich eingeschätzt wird. Dazu wird ein neuer Umgang mit Fehlschlägen kultiviert – sie sollen den Menschen als Erfahrungsquelle dienen und werden gemeinsam diskutiert und analysiert, nicht sanktioniert.

Jonathan Herrle – Chief Experience Officer bei Loewe Technologies – berichtete über die konzeptionelle Neuausrichtung der krisenbelasteten Firma aus Kronach. Der junge Designer betont  hierbei das notwendige Feingefühl im Umgang mit der Führungsetage und den MitarbeiterInnen in der Produktion. Er berichtet von seinen Bemühungen um eine ganzheitliche, langfristig gedachte Firmenphilosophie – begonnen beim progressiven, zukunftsgerichteten Gestalten und Produzieren des Produktsortiments bishin zur Implementierung einer funktionierenden Kommunikationskultur. Er setzt auf Experimente im kleinen Rahmen, die bei Erfolg aufs Firmenkonstrukt skaliert werden und auf eigenverantwortliche MitarbeiterInnen, die ihre Arbeitsprozesse ganzheitlich im Blick behalten.

Nach einer Mittagspause mit gutem Essen und kurzer Entspannung unter sonnigem Himmel beginnt der dritte Themenkomplex des Tages: Die persönliche Wandlungsfähigkeit.

Hier gefiel mit besonders der Ansatz von Ragnhild Struss, Karrierestrategin und sowas wie ein Personal Coach für Wandlungswillige. Ihr kurzweiliger Vortrag zu konkreten Beispielen ihrer Erfahrungswelt hatte in meinen Augen eine wichtige Message inne: Transformationsprozesse beginnen von Innen – und damit bei jedem von uns selbst. Dazu gehört Mut, Selbstvertrauen und genaue Kenntnis von eigenen Zielen und (schlummernden) Potenzialen, die erst definiert und im Anschluss erreicht bzw. ausgebaut werden können. Auch ihr süffisanter Hinweis, dass die Arbeit nur das halbe Leben (und damit auch nur die halbe Erfüllung!) sei, empfand ich in unserer hektischen, erfolgsorientierten Welt als durchaus sympathische Erinnerung. Veränderung sei außerdem kein unreflektiertes Anpassen an die Umwelt – im Gegenteil; sie ist die Suche nach der persönlichen Wahrheit. Dabei muss sich nicht zwangsläufig die eigene Persönlichkeit ändern, die eigenen Einstellungen und Werte hingegen können reflektiert werden und sind durchaus im Wandel.

Damit sind wir am Ende der Keynotereihe angelangt. Zum Schluss wird Moritz Baier, Investmentbanker bei Goldman Sachs, zum Verlauf seiner ungewöhnlichen Karriere interviewt und gibt Einblicke in sein persönliches Leben sowie zu seinem Aufstieg als junges Talent und Mitglied in der Forbes-Liste „30 under 30“.

Die anschließenden Workshops, in denen in etwa 60 Minuten weitestgehend unmoderiert der Austausch in gemischten Gruppen stattfinden sollte, waren sehr von der Beteiligung ihrer Teilnehmer abhängig und – zumindest kam es mir so vor – von recht unterschiedlicher inhaltlicher Qualität. Abseits von einem recht interessanten Projekt eines Teilnehmers aus Mannheim im Kontext von sozial-gerechten Investitionen im Immobilienmarkt der Stadt bleibt mir hier nicht viel zu berichten.

Den Abschluss machte, nach den üblichen Dankes- und Verabschiedungsreden seitens der Gastgeber der brand eins ein junger palästinensisch-syrischer Pianist, Aeham Ahmad, der die Konferenz musikalisch ausklingen ließ.

Alles in allem war es in meinen Augen eine spannende Konferenz mit verschiedensten Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein wenig bleibt bei mir jedoch der Eindruck zurück, dass einige Teilnehmende die Notwendigkeit von Veränderungsprozessen zwar deutlich wahrnehmen, ihre Vorstellung davon tendenziell allerdings noch tief in alten Denkmustern verwurzelt sind. Der Fokus einiger Teilnehmer – zumindest kam es mir so vor – lag oftmals noch immer auf der reinen, finanziellen Wirtschaftlichkeit ihrer Unternehmen. Gesellschaftlich relevante Themenfelder wie ökologische Nachhaltigkeit und die damit verbundene Verantwortung oder die weitreichenden sozialen Veränderungsdynamiken im Zuge der Digitalisierung wurden eher am Rande betrachtet und bedürfen in meinen Augen mehr Aufmerksamkeit, auch von Seiten der Ökonomie. Solche komplexen Themenfelder sind natürlich auch nicht vollständig an nur einem Konferenztag zu diskutieren. Ein bisschen Transformation geht aber eben auch nicht, und wenn man sich schon den aufregenden Fragen nach der notwendigen, zukunftsgerichteten Wandlung von Gesellschaft, des Selbst und der Unternehmen stellt, wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, auch Themen abseits der Ökonomie etwas prominenter einzubeziehen. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.

Nach einer letzten Erfrischung im Prototyp-Museum bin ich schließlich mit einem Notizheft voller spannender Eindrücke zurück nach Braunschweig gefahren und letztlich um ein paar Erfahrungen reicher. An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an Frau Gless von brand eins für die Einladung und vielleicht bis nächstes Jahr – gern stelle ich mich dann auch als Vertreter der akademisch-transformationsgestaltenden Perspektive zur Verfügung. 😉

Text und Bild: Philipp Rösler

Weitere Informationen zu Themen, Rednern und Gästen sowie zusätzliches Bildmaterial findet ihr unter https://www.brandeins.de/konferenz/thema/.

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