Von der Gestaltung des Gegenstands zum Gegenstand der Gestaltung

Die Essenz einer Bahnfahrt von Saskia Hebert und Andreas Unteidig

SH: Andreas, du unterrichtest jetzt seit zwei Semestern im Transformation Design. Inwiefern schließen Deine Erfahrungen an das an, was du vorher gemacht hast?

AU: Ich interessiere mich in meiner Arbeit schon lange für die Frage, wie man Design in komplexen und politischen Zusammenhängen denken und welche praktischen Positionen des Gestaltens man im Kontext der Transformation einnehmen oder entwickeln kann. Ich finde es wichtig, das als einen andauernden Such- und Aushandlungsprozess zu sehen, der sich durch eine gewisse Lernbereitschaft und Offenheit auszeichnen muss. Daher bin ich sehr froh, hier mit Kolleg*innen und Studierenden arbeiten zu können, die eine Wertschätzung und das Interesse an einer offenen, kritischen, aber dennoch produktiven Herangehensweise an diese Frage teilen – und dass sie mit Mut und Freude bearbeitet wird!

SH: Wie kann man im Transformation Design mit dieser Offenheit umgehen – und dennoch etwas bewegen?

AU: Ein wichtiger Punkt ist sicher die Interdisziplinarität – Transformation Design zu denken und zu entwickeln, kann nicht allein aus dem Design heraus funktionieren. Wir blicken ja in der Regel auf sehr komplexe Problemfelder, denen wir uns aus einer isolierten Disziplin oder einer bestimmten Denkweise heraus nicht sinnvoll nähern können und die vielmehr ein Betrachten aus ganz verschiedenen Perspektiven und auch ein kollaboratives, eben interdisziplinäres Bearbeiten erforderlich machen. Hier kann man Design durchaus als eine Art „Interface-Disziplin“ sehen, die es versteht, sich zwischen verschiedenen sozialen oder epistemologischen vermitteln und damit arbeiten können. Dabei hilft uns aus meiner Sicht, dass das Design als eine wissenschaftliche Disziplin noch sehr jung, nicht wirklich fest hinaus handlungsfähige Positionen wir es zu tun haben, oft nicht leicht zu fassen sind.

SH: Spielt das nicht auch eine Rolle, wenn es darum geht, Situationen, Systeme und Strukturen zu erfinden, die es noch nicht gibt ? Und welche Position hat man dann als Gestalter*in?

AU: Oft geht es in solchen Prozessen ja um ein schrittweises Vorantasten und auch hier kann man wieder von Vermittlung sprechen: Um in der Unschärfe zu gestalten, lassen sich Erkenntnis- oder Entwurfsprozesse oft gar nicht anders als mit einer Logik des „Prototypings“ steuern – also durch ein iteratives Herstellen, Testen und Weiterentwickeln von Versuchsmodellen und Experimenten.
Es ist wichtig, die vorläufi ge Position, die wir aus dem verfügbaren Wissen herstellen können, hinaus in die Welt zu werfen, zu beobachten, was daraus wird und das dann als eine neue Grundlage zu nehmen, sowohl unser Denken als auch den Entwurf zu iterieren,
zu überarbeiten und erneut mit der Realität zu konfrontieren. Ich denke, dass diese Art des Arbeitens ein ganz wichtiger Modus des Fortschreitens ist – generell für die designerische Praxis, aber vielleicht auch nochmal besonders im Kontext des Transformation Design, in dem es ja zwangsläufi g auch darum gehen muss, die unterschiedlichsten Akteur*innen einzubeziehen und gemeinsame Positionen des Gestaltens zu entwickeln. Es werden ja zumeist Situationen adressiert, die eben keine Gestaltung im abgeschlossenen Studio zulassen, sondern in der Unordnung sozialer Komplexität zuhause sind. Hier ist prototypisches Denken und Handeln sehr hilfreich, weil sich damit Räume und Modi herstellen lassen, in und durch die man über komplexe und schwer fassbare Sachverhalte mit den unterschiedlichsten Beteiligten diskutieren kann.

„Es werden ja zumeist Situationen adressiert, die eben keine Gestaltung im abgeschlossenen Studio zulassen, sondern in der Unordnung sozialer Komplexität zuhause sind.“

SH: Im Transformation Design maßen wir uns eine gewisse Kritikfähigkeit bzw. – berechtigung an, die auf einem normativen Mindset beruht: Die große Transformation zur Nachhaltigkeit schließt ein , dass bestehende Zustände als kritisierbar erscheinen oder sogar kritisiert werden müssen. Wie verträgt sich das aus Deiner Sicht mit einer Wissentschaftlichkeit , die das Design ja auch für sich beansprucht?

AU: Ich denke, dass das dem Design als eine „Kultur des Infragestellens“ inhärent ist – Design ist ja gar nicht denkbar ohne die Grundannahme, dass die Dinge anders und vor allem besser sein könnten, als sie es derzeit sind. Dementsprechend ist sicher eine der Grundkapazitäten, die wir vermitteln und ausbilden, auf die „Welt als Projekt“ (Findeli) zu blicken – die Dinge also in ihrer Gemachtheit und damit ihrer kategorischen Gestaltbarkeit zu erkennen und erstmal dem Refl ex zu widerstehen, sie als in Stein gemeißelt, als natürlich oder anderweitig unabänderlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen zu sehen und diese Kontingenz eben als Raum des Gestaltbaren zu betrachten. Schwierig wird diese Anmaßung dann, wenn die vorgefundene Komplexität zu stark dem Willen ihrer Beherrschbarkeit unterworfen und damit illegitim reduziert wird. Die Fähigkeit, Komplexität zu erkennen, sie im Auge zu behalten, zu wissen, dass man sie nicht einfach „wegdesignen“ kann – und dennoch zu gestalterischen Positionen finden zu können, ist elementar. Dafür experimentieren wir mit verschiedenen Wegen, komplexe Probleme systemisch zu betrachten und dadurch genug Wissen über sie zu entwickeln, um handlungsfähig zu werden. Die Krux liegt darin, es auszuhalten und sogar produktiv damit arbeiten zu können, dass eine solche Positionierung immer eine vorläufi ge, eben ein Zwischenschritt zur Nächsten ist.

SH: Wie gehen Studierende damit um, nicht genau zu wissen wohin die Reise geht und dennoch Entscheidungen treffen müssen? Kannst Du ein Beispiel nennen, wie solche Strategien und Methoden aus diesen Kontexten erfolgreich angewandt wurden?

AU: Ein erster Schritt besteht sicher darin, sinnvolles „Problemdesign“ zu betreiben – sich also zunächst den Rahmen des zu Betrachtenden zu erarbeiten und zu entscheiden, welche Teilaspekte man aus einer unendlichen Fülle an Gestaltungsfeldern mit welchen Mitteln adressieren will. In den letzten Projekten haben wir mit Titeln wie DIGITOPIA und UN/MAKING HEIMAT beispielsweise thematische Startpunkte gesetzt, die einen extrem weiten Spielraum der Interpretation zulassen. Das Framing und die Grenzziehungen sind elementar, wobei es sehr wichtig ist, sich nicht zu schnell zu einer vermeintlichen Problemlösung hinreißen zu lassen, sondern die Dinge erst mal von den verschiedensten Ebenen zu betrachten, was in den genannten Projekten zuweilen sehr überraschende Ergebnisse gebracht hat. Auf der Projektebene schließlich gibt es durchaus Tools und Prozesse zur Analyse komplexer Systeme, zur Strukturierung von Projekten oder zur Organisation komplexer Situationen der Zusammenarbeit, also des partizipativen Designs, die sich bewährt haben und die sowohl aus den verschiedenen designerischen Disziplinen selbst, als auch aus gänzlich anderen Feldern wie der Systemtheorie, der sozialen und politischen Arbeit, oder der Kunst kommen. Die lehren, reflektieren und erproben wir, entwickeln sie weiter und bemühen uns, dieses Repertoire ständig auszubauen.

„Dafür experimentieren wir mit verschiedenen Wegen, komplexe Probleme systemisch zu betrachten und dadurch genug Wissen über sie zu entwickeln, um handlungsfähig zu werden.“

SH: Eine weitere Kompetenz des Transformation Design ist das Entwickeln von wünschenswerten Zukünften. Dazu entwickeln wir Szenarien, stellen uns die Frage „Wie werden wir gelebt haben wollen und was müssen wir dazu getan haben?“ und nutzen die daraus entwickelten Erkenntnisse als Orientierungstool.

AU: Das ist ganz zentral, finde ich: Design impliziert immer, dass man sich fragt, wie die Dinge denn anders sein könnten – egal ob Strukturen, Systeme oder Objekte. Dass es darüber hinaus im Design nicht nur um das Ersinnen möglicher Zukünfte, sondern auch um das Vermitteln und Vorstell-, Fühl- und Erfahrbar-machen geht, ist dabei sehr wichtig. Richtig spannend wird es, wenn verschiedene Akteurinnen in diese Prozesse einbezogen werden, um gemeinsam fruchtbare Rahmenbedingungen für diese Visionen zu schaffen. Während des Studiums geht es einerseits darum, eine große Bandbreite an konkreten Werkzeugen dafür an die Hand zu bekommen, und diese in verschiedenen Kontexten und Projekten selbst anzuwenden. Nicht weniger wichtig ist die gemeinsame Auseinandersetzung mit unterschiedlichen theoretischen Zugängen, die bei der eigenen Positionsbestimmung helfen. Aber all das sind natürlich keine Rezeptbücher, die eins zu eins angewandt werden, sondern vielmehr Teile eines Meta-Werkzeugkastens, um selbst
die jeweils hilfreichen Tools, Methoden und Rollenverständnisse entwickeln zu können.

SH : Du hast viele dieser Werkzeuge auch in Forschungsvorhaben angewandt, die mehrere Akteur*innen miteinbeziehen. Wie siehst du Allianzen zwischen beispielsweise Aktivist*innen und Design Researchern?

AU: Wir suchen als Transformationsdesigner*innen ja nach neuen Zugängen zu nicht unbedingt neuen, aber sehr großen Fragen. Dafür ist es aus meiner Sicht extrem wichtig, Allianzen mit verschiedensten Menschen – zum Beispiel aus dem Sektor der vielen, zivilgesellschaftlichen Bewegungen – einzugehen. Einerseits kann man in solchen Zusammenhängen als Verstärkerin, Vernetzerin oder Katalysatorin wirken. Andererseits können und sollten wir von Akteursgruppen lernen, die über die Jahre schon viel Erfahrung im Adressieren großer Fragen gesammelt haben und darüber hinaus die notwendigen sozialen Beziehungen und Netzwerke – etwa in Politik und Verwaltung – aufgebaut haben, wie es innerhalb von Projekten mit einer zweijährigen Laufzeit gar nicht möglich wäre. Sich in solchen Kontexten zu integrieren, mit dem nötigen Respekt und mit einem Blick dafür, welche Kompetenzen und Kapazitäten man als Transformationsdesigner*in mitbringen kann, halte ich für ein extrem vielversprechendes Betätigungsfeld.

SH: Wo stehen wir als Studiengang denn aus Deiner Sicht in dem Feld der Gestaltungsdisziplinen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen?

AU: Zusammenfassend kann man denke ich sagen, dass wir den Anspruch an uns selbst pflegen, große Fragen zu stellen und zu adressieren, ohne sie aber zu trivialisieren und bei dem schon beschriebenen Suchprozess genauso produktiv wie selbstkritisch vorzugehen. Dabei haben wir ein gutes Klima der Zusammenarbeit, welches durch eine sehr horizontale Struktur sowie die Solidarität der Studierenden untereinander verstärkt wird. Außerdem kommen hier die unterschiedlichsten Hintergründe, Disziplinen und Berufe zusammen und wir suchen aktiv die Vernetzung und Zusammenarbeit mit externen Akteur*innen – durch diese Trans- und Interdisziplinarität lernen wir sehr viel voneinander. Eingebettet ist das alles in ein zielgerichtetes Oszillieren zwischen Denken und Handeln: der Freiheit zu experimentieren, der Freude an diskursiver Problementwicklung und Theoriebildung, aber auch dem klaren Anspruch, Handlungspositionen zu entwickeln – eben zu gestalten.

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