Perspektiven zweier Städte: Eine transformatorische Zukunftssafari

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„Alles was ein Mensch sich vorstellen kann, werden andere Menschen realisieren.“

Jules Verne

Es beginnt mitten im brandenburgischen Wittenberge. Um ein sandfarbenes Haus mit ziegelroter Tür führt eine breite Straße. Das Pfeifen des Windes wird durch Stimmengeplauder begleitet, das von jenen Neugierigen kommt, die sich vor dem dreigeschossigen Gebäude versammeln, um an einer Zukunftssafari durch Wittenberge und Perleberg teilzunehmen. Es ist ein kühler Freitag im Februar des Jahres 2016. Zu diesem Ort, dem Bürgerzentrum, hat ein besonderes Ministerium geladen: das „Ministerium für Miniaturinselforschung und Zukunftserprobung“. Zwei Tage lang wird es für die zwei Städte neue Perspektiven aufzeigen. Und dafür hat es die Bewohner zum Mitmachen an Projekten vielfältiger Art eingeladen, welche die beiden Tage prägen: etwa einem Workshop zur Gestaltung von städtischen Freiflächen oder einem Stadtspaziergang mit spielerisch-experimentellen Anteilen.

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Das Ministerium kommt!

Die Mitarbeiter des Ministeriums sind allesamt Studierende des Masterstudiengangs Transformation Design an der HBK Braunschweig und haben im Wintersemester für die Zukunftssafari dieses sonderbare Ministerium erdacht. Als Ort ihres Projektes wählten sie zwei Städte, die an einem Zukunfts-Wettbewerb teilnahmen und so führte sie ihr Interesse nach Wittenberge und Perleberg. Anfang November 2015 besuchten die Studierenden aus Braunschweig erstmals diese Städte in der Prignitz. Sie nahmen an einem Workshop zur Stadtentwicklung teil, arbeiteten in einem leerstehenden Laden – dem ehemaligen Safariladen am Wittenberger Bismarckplatz – und realisierten eine „Pop-Up-Ausstellung“.

Das Ministerium gab der Zukunftssafari ihren Erzählrahmen. Dabei erwies sich die gemeinsame Fiktion als so stark, dass es gelang, aus dem geteilten Narrativ heraus eine völlig neue Perspektive auf die vermeintlich wohlbekannte „Wirklichkeit“ zu entwickeln – und damit eine generelle Vorstellbarkeit noch ganz anderer, künftiger Möglichkeiten entscheidend zu befördern.

Auf den Spuren der Städte Wittenberge und Perleberg

Nur wenige Kilometer voneinander entfernt, liegen an der Elbe im Nordwesten Brandenburgs die zwei Kleinstädte Wittenberge und Perleberg, die am Wettbewerb „Zukunftsstadt 2030“ teilnehmen. Dafür entwerfen sie gemeinsam mit ihren Bürgern Visionen für die Zukunft und stellen sich der Frage, wie nachhaltige Entwicklung und Lebensqualität trotz Schrumpfung möglich sind.

Einst, in der Gründerzeit, wurde Wittenberge zu einem wichtigen Industriestandort und bekam durch das Nähmaschinenwerk Singer, später Veritas, internationale Bedeutung. Perleberg wiederum kennzeichnet ein unzerstörter historischer Stadtkern mit einer Baukultur aus acht Jahrhunderten. Doch beide Städte erleben seit Jahren einen kontinuierlichen Bevölkerungsverlust und damit einen tiefgreifenden demographischen, sozialräumlichen und wirtschaftlichen Wandel. Die Geschichte, die sie damit erzählen, ist die vieler Kleinstädte, nicht nur in Brandenburg.

Die Verhältnisse zum Tanzen bringen

An jenem kühlen Freitag im Februar, von dem bereits die Rede war, steigen um 10 Uhr Interessierte vor dem Platz am Bürgerzentrum die Treppe hinauf. Mit zwei Mitarbeitern des Ministeriums, Deniz und Yibo, sitzen sie wenig später um einen Tisch herum. Bunte Spielfiguren werden gezogen, Würfel fallen, Fragen werden verlesen. Gespielt wird das eigens entwickelte Brettspiel „Zukunft kommt zusammen“, in dem Geflüchtete und Prignitzer gemeinsam die deutsche Sprache und Kultur üben können.

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Wie Studierende ein „Aufs-Land-Semester“ in der Prignitz verbringen können, erzählt später Mitarbeiterin Julia. Ein Auslandssemester kann so nicht außerhalb des Landes, sondern auf dem Land verbracht werden. Dass dabei Orte des Dialogs mit der Bevölkerung und neue Impulse für die Region entstehen können, ist um so wünschenswerter.

16 Uhr, Bismarckplatz, Kaffeeduft zieht aus dem Safariladen. Pläne hängen an den Wänden, Stifte und Zeichenmaterial liegen auf den Tischen. Hier ist zu einem Workshop geladen, in dem die Freiflächen Wittenberges in den Blick genommen werden. Welches Potenzial hier für die Zukunft schlummert, finden die Anwohner gemeinsam mit den zwei Ministeriumsmitarbeiterinnen Isabella und Franzisca heraus. Von den Ideen für die Freiflächen kündet später die „Zukunftpost“.

17.30 Uhr, Wilhelmstraße, auffallend viele junge Wittenberger sind gekommen. Flirrende Stimmung in der alten Druckerei: Berlin würde sich reißen um so einen Ort! Kling, kling – Hermine und Philipp, zwei weitere ministerielle Mitarbeiter, eröffnen die Ausstellung „Volles Brett Farbe“. In Kooperation mit Schulen und sozialen Trägern entstanden zuvor, in Kunstunterrichtsstunden und während eines Workshops, zahlreiche bemalte Tafeln, die von den Zukunftsträume der Prignitzer Jugendlichen erzählen. An diesem Abend sind ihre Kunstwerke hier zu bestaunen.

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Am nächsten Tag, 11 Uhr, Nieselregen – bunte Regenschirme zieren die Besucher vor dem Wittenberger Kultur- und Festspielhaus. Auf der Treppe vor dem Haus ertönt eine Stimme. Die Ministerin Kristina begrüßt zu einem Stadtspaziergang, der an mehreren Stationen und Zwischenwegen neue Sichtweisen und Perspektiven auf Wittenberge und dessen Zukunft erprobt. Spielerisch-experimentell wird hier durch die Stadt geschritten: beispielsweise über einen Zebrastreifen tanzend oder einen Fußweg mit verbundenen Augen entlang laufend, um die Stadt mal anders wahrzunehmen. Dazwischen erzählt die Ministerin Aufmerksamkeitsgeschichten, in denen Gesehenes und Gehörtes aus Sicht des Transformation Designs reflektiert wird. Auch das Demokratieforum der Stadt, eine Initiative von Wittenbergern, ist eine Station. Außerdem wird der Bürgermeister zu seinen Zukunftsperspektiven für Wittenberge interviewt. An einer weiteren Station wird der „Kommunikeks“ des ministeriellen Mitarbeiters Thomas verkostet, der die ungehörten Stimmen der Stadt schmackhaft macht. Ebenso ein Erlebnis für die Sinne ist die Audioinstallation „Verrat der Akustik“ des Mitarbeiters Lucas, die beim Spazieren an verschiedenen Orten immer wieder hörbar wird. Beim gemeinsamen Abschluss im Safariladen werden Gespräche und heißer Apfelsaft mit Zimt genossen. Danach verabschiedet sich das Ministerium und kehrt mit seiner gesamten Entourage und um die Erfahrung dieser gemeinsamen transformatorischen Reise reicher nach Braunschweig zurück.

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Comments (2)

  1. […] ausführlichere Beschreibung des Projekts ist auf dem Blog unseres Studiengangsmagazins TRANSFORMAZINE zu […]

  2. […] Es enthält einen Bericht vom ersten Projekt im neuen Masterstudiengang, der Zukunftssafari in Perleberg und Wittenberge, und stellt die daran beteiligten zehn Studierenden vor. Außerdem […]

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