caredrobe

Eine Arbeitsgarderobe für Care-Migrant*innen in der häuslichen Pflege

Ewa K. prostet uns über den Bildschirm mit ihrer Kaffeetasse zu. “So meine Lieben, jetzt habe ich Zeit für euch. Stellt mir all eure Fragen.” Etwa zwei Stunden später beenden wir den Video-Call und sind beeindruckt, bestürzt, vielleicht auch ein bisschen beschämt.
Ewa ist ehemalige Care-Migrantin aus Polen und hat über mehrere Jahre in deutschen Haushalten in der sog. “24-Stunden-Pflege” gearbeitet. Ohne Frauen (selten auch Männer) wie Ewa wäre die Versorgungslücke nicht zu schließen, die im deutschen Pflegesystem angesichts einer steigenden Zahl pflegebedürftiger Personen bei gleichzeitig akutem Fachkräftemangel immer weiter auseinander klafft. Doch der Preis, den Care-Migrant*innen für die Pflege unserer Angehörigen zahlen, ist hoch.

Etwa 70% der Care-Migrant*innen werden in Deutschland über das sogenannte Entsendemodell engagiert: Auf Anfrage werden pflegebedürftigen Personen über deutsche Agenturen Betreuungskräfte vermittelt, die widerum bei einer Agentur in ihrem Heimatland angestellt sind und nach Deutschland entsendet werden. Die Agenturen machen damit das private Zuhause, in dem traditionell unbezahlte Care-Arbeit geleistet wurde, zum Ort der Lohnarbeit – ein bedenkenswerter Aspekt der Kommerzialisierung von Care-Arbeit.

Gegenüber Angehörigen und pflegebedürftigen Personen werben die Agenturen mit dem “Rundum-sorglos-Versprechen”. Es ist ein ganz schön großes Versprechen, dafür, dass nicht die Agenturen selbst, sondern Care-Migrant*innen es erfüllen müssen. Denn minimale Sorge auf der einen Seite bedeutet für Betreuungskräfte auf der anderen Seite eine maximal prekäre Arbeitssituation. Ohne Rechtssicherheit, bzw. soziale Absicherung und ohne Kontrolle der Beschäftigungsverhältnisse von behördlicher Seite kommt es nicht selten zu Lohnbetrug, Unterbezahlung und/oder Überbelastung. Von Care-Migrant*innen – auch “Live-Ins” genannt – wird vierundzwanzigsieben flexible Abrufbereitschaft und permanente Anwesenheit erwartet, was oft ebenso wenig als zu entlohnende Leistung anerkannt wird, wie die emotionalen, psychosozialen und kommunikativen Aspekte der Pflegebetreuung. Zusätzlich erschweren die Isolation im Privathaushalt, sprachliche Barrieren und die starke Personalisierung der Arbeitsbeziehungen die Situation.
Ewa berichtet uns auch von ihrer Unsicherheit, wenn sie den Pflegebedürftigen Medikamente verabreichen musste, obwohl diese Aufgabe eindeutig nicht vertraglich vereinbart war. In einem besonders herausfordernden Beschäftigungsverhältnis hatte sie innerhalb weniger Wochen zehn Kilo Gewicht verloren, weil sie durch die Anforderung ständiger Verfügbarkeit kaum zum Schlafen gekommen war.

Uns hat die Situation von Care-Migrant*innen in deutschen Haushalten sehr nachdenklich gestimmt. Welche Art der Pflege stellen wir uns eigentlich für unsere Eltern oder auch uns selbst später einmal vor? Was nehmen wir in Kauf, um im Alter nicht das vertraute Zuhause verlassen zu müssen und warum muss dieser Gedanke so beängstigend sein? Wir glauben, dass es wichtig ist, dass wir uns alle mehr mit dem Thema Pflege auseinandersetzen – gerade auch dann, wenn wir noch nicht in der schwierigen Situation sind, schnelle Entscheidungen treffen zu müssen.

Gleichzeitig haben wir darüber nachgedacht, was Care-Migrant*innen die Arbeit in der “24-Stunden-Pflege” erleichtern könnte, abgesehen von großen systemischen Veränderungen. Entstanden ist die Idee einer Arbeitskleidung für die häusliche Pflege, die wir mit der Gründung des Social Entrepreneurships caredrobe finanzieren möchten. Die symbolische Wirkung einer Arbeitskleidung umfasst nicht nur eine Abgrenzung von Freizeit und Arbeitszeit, sondern greift auch Aspekte des Arbeitsschutzes auf, der hier besonders auf psychischer und emotionaler Ebene zu gewährleisten ist. Ziel ist es, den Care-Arbeiter*innen ein Tool bereitzustellen, durch das sie ihr „privates Ich“ von der Arbeitssituation im Privathaushalt abgrenzen können: Kleidung lässt sich abstreifen und signalisiert dann deutlich: „Jetzt bin ich nicht im Dienst.“

Mit der Arbeitsgarderobe sollen sich sowohl die Care-Migrant*innen selbst, als auch die Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen wohl fühlen. Was die Kleidung dafür optisch und funktional erfüllen muss, erarbeiten wir zusammen mit den Betroffenen in einem teilhabenden Gestaltungsprozess: Durch mehrere Workshops mit unterschiedlichen Teilnehmerinnen werden prototypisch Ideen, Vorstellungen und Bedenken gesammelt. Erste Ansätze sind bereits bei einem ersten Workshop Anfang Oktober 2020 in Paderborn entstanden.


Damit Care-Migrant*innen später nicht selber für die Kosten der Arbeitsgarderobe aufkommen müssen und damit das Thema auch wirklich den Weg raus aus dem Privathaushalt findet, verkaufen wir fair und ökologisch produzierte solidarische Statement-T-Shirts, durch deren Gewinn wir die Arbeitsgarderobe für Care-Migrant*innen langfrisitig finanzieren. Schaut gerne auf unserer Website vorbei oder folgt uns auf Instagram, um ein T-Shirt zu bestellen und über Neuigkeiten informiert zu werden!


Ein Projekt von:
Anna Eckl, Leonie Matt und Emmelie Althaus
Semesterprojekt „Take Care“, Wintersemester 2019/20

www.caredrobe.de
www.instragram.com/caredrobe


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